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Susanne von Paczensky

( Susanne von Paczensky, geb. Czapski )
(22.1.1923 Augsburg – 15.5.2010 Hamburg)
Journalistin, Autorin, Feministin, 1946 Berichterstatterin vom Nürnberger Prozeß, Gründerin (1982) des Hamburger Familienplanungszentrums, Auslandskorrepondentin in San Francisco
Lenhartzstraße 10 (Wohnadresse)
Familienplanungszentrum: Bei der Johanniskirche 20 (Gründerin)
Namensgeberin für Susanne-von-Paczensky-Straße, benannt 2016 in Altona-Nord
Susanne von Paczensky, Quelle: Ali Paczensky
„Kennen Sie eine Frau, die kämpferisch und humorvoll, charmant und durchsetzungsfähig ist? Eine Frau, die keine Angst vor Tabus hat, klug und strahlend? Tough und tender?“, so brachte es Heide Hering in ihrer Laudatio für die mit dem Fritz-Bauer-Preis Geehrte 2004 auf den Punkt (Auszeichnung der Humanistischen Union in Anerkennung ihres Lebenswerkes, insbesondere ihres Einsatzes für die Rechte der Frauen).
„Für viele von uns war sie eine Bastion. Unerschütterlich in ihrer Bereitschaft, sich einzumischen. Sperrig. Selbstbewusst. Oft ironisch, nie gefällig“ (Eva Kohlrusch in Nachruf des Journalistinnenbundes, Mai 2010). Was stellte die Weichen für ihre Mentalität, ihren Werdegang, was trieb sie an?
Geboren wurde sie 1923 als Susanne Czapski in Berlin. Dass der Vater Volkswirt und leitender preußischer Beamter, die Mutter Lyrikerin war, wusste das Kind. Aber dass die Mutter zu den Ariern zählte und ihr Vater, ein getaufter Protestant, als „Jude“ galt, war ihr nicht bewusst. Schon in der Schule wird die bis ins hohe Alter aparte Frau z.B. Beispiel im Fach „Rassenkunde“ als „Halbjüdin“ („runder Kopf und dunkle Haut“) identifiziert und isoliert. Da es nach dem Abitur für die „Halbjüdin“ keinen Studienplatz gibt, reiste „Fräulein Czapski“ nach Freiburg und fälschte sich einen Ariernachweis: Juristin wollte sie werden! Bereits als Schülerin und auch als Studentin unterhielt sie Kontakt zu Widerstandsgruppen und erstellte Flugblätter (vgl. de.wikipedia.org/wiki/Susanne_von_Paczensky).
Mitten im Krieg 1943 meldete sich die Studentin zu einem Arbeitseinsatz in Litauen als Deutschlehrerin. Vor allem wollte sie dort nach verschollenen Familienmitgliedern forschen. Schlimme Nachrichten und die verheerenden Bilder vom Ghetto in Wilna, all das hat sie tief erschüttert und ihr Leben verändert (Heide Hering).
Kurz vor Kriegsende flog ihre Arierfälschung auf, sie tauchte in einem Dorf in Litauen unter. „Endlich kamen die Besatzer und Susanne Czapski ging freudig auf die fremden Soldaten zu. Für sie waren es die Befreier. Sie wurde von drei marokkanischen Soldaten in den Dorfgraben gezerrt und vergewaltigt. Zwei Wochen später wusste sie, dass sie schwanger war. Für vergewaltigte Frauen wurde damals Abtreibung ausnahmsweise genehmigt – ihr aber verweigerte der Krankenhausarzt diese Genehmigung: Die Sondererlaubnis galt nur „zum Schutz des deutschen Blutes“. Und dies, obwohl das Dritte Reich vorbei war.
Vor dem Suizid bewahrte sie der Zuspruch einer fremden Frau. An der Lebensgefahr, dem Leiden unter der Hand von Kurpfuschern in der Illegalität, litt sie mehrfach und lebenslang.
Nach 1945 war an ein Studium nicht zu denken: Aber es begann ein neues und freies Leben! Bald darauf startete ihre journalistische Karriere. Zunächst als Dolmetscherin für die amerikanische Besatzungsmacht tätig, machte sie ein befreundeter Amerikaner auf die von amerikanischen Besatzungsoffizieren gegründete Nachrichtenagentur DENA (Deutsch-Amerikanische Nachrichtenagentur, später DANA), dem Vorläufer der Deutschen Presseagentur dpa aufmerksam. Nach kurzer Journalistinnen-Lehrzeit wurde ihre Bewerbung als Berichterstatterin bei den Nürnberger Prozessen angenommen. Als eine von wenigen Frauen berichtete sie nun täglich von den Gräueltaten der Hauptverantwortlichen. Damit wirkte sie daran mit, ein neues Kapitel des Völkerrechts zu eröffnen (angereist war unter anderem eine große Schar engagierter prominenter Schreibender auch aus dem Exil, etwa Ernest Hemingway und Erika Mann, Ilja Ehrenburg und Louis Aragon, John Steinbeck, Erich Kästner, Robert Jungk, Martha Gellhorn, Victoria Ocampo, Peter de Mendelssohn, Rebecca West, John dos Passos, eine glänzende Liste, die sich fortsetzen ließe. Die Berichte dieser Autorinnen und Autoren sind aus dem Vergessen gehoben von Stefan Radlmeier, Die Nürnberger Lernprozesse, Frankfurt/Main 2001).
Ihr Lebensmotto, sich immer gegen das (bequeme?) Vergessen einzusetzen, wurde ihr zum Fundament: „Die Frau, sie war gerade mal 22 Jahre alt, wirkte irgendwie verloren, als sie da Anfang 1946 in Nürnberg ankam. In einem schäbigen Rucksack trug sie ihren gesamten Besitz, der aus einem Dirndlkleid, einer dunkelblau eingefärbten, geklauten Ami-Uniform sowie zwei sperrigen, abgegriffenen Kunstbänden bestand. Eine ihre Kolleginnen (...) hatte ihr noch kurz vor der Abreise aus Mitleid eine Bluse und ein neues Wollkleid geliehen“ (aus Manuskript Nachruf auf S.v.P von Ingrid Müller-Münch, Neugier genügt, Radio WDR 5, 17.5.2010, www.mueller-muench-web.de/2010/05/nachruf-auf-susanne-v-paczensky-wdr5-neugier-genugt-17-5-2010).
Nach dem Prozess arbeitete sie 1947 bis 1949 als Redakteurin der von der britischen Besatzungsmacht gegründeten Tageszeitung „ DIE WELT” in Hamburg. Sie heiratete einen Kollegen, den Journalisten Gert von Paczensky, und beide wurden politische Korrespondenten der WELT. Von 1949 bis 1957 war sie Auslandskorrespondentin in London und Paris. Da „räsonierte sie zu Recht, als man jeweils ihm die politischen Themen zuteilte und ihr das Feuilleton bzw. das Ressort für Vermischtes“ (Eva Kohlrusch, www.journalistinnen.de/aktuell/pressemitteilungen/todestags_v_paczensky.html). Ab 1951 in Frankreich zählte das Ehepaar zu den ersten Journalisten, die als Deutsche in diesem Land zugelassen wurden.
Zurück in Hamburg engagierte sich Susanne von Paczensky ab 1958 als Beirätin in mehreren Strafanstalten und half mit, die erste Therapeutische Anstalt für Strafgefangene zu gründen.
Elf Jahre später wurde ihre Ehe mit Gert von Paczensky geschieden. Die westdeutsche Studentenbewegung entstand und die Frauenbewegung blühte auf. Ihr frauenpolitisches Engagement begann. Es machte sie zu einer frauenpolitischen Wortführerin. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen gründete sie die Hamburger Gruppe F.R.A.U. sowie später die Fraueninitiative 6. Oktober, die sich für eine aktive Gleichstellungspolitik einsetzten. Sie schrieb über die Pille, über den Prozess „EMMA” gegen „STERN”, über Reformen im Strafvollzug und den § 218. Dieser war auch ein zentrales Thema ihrer Buchreihe „frau aktuell“, die sie von 1977 bis 1983 im Rowohlt-Verlag herausgab. Jedes Jahr erschienen sechs Bände in der von Freimut Duwe verantworteten rororo-aktuell-Taschenbuchreihe zu Themen wie Gewalt in der Ehe, Frauen im Parlament, Türkinnen in der BRD, Väter als Täter, Mütterfeindlichkeit, Frauen als Komplizinnen. Im Vorwort zu der Reihe begründet Susanne von Paczensky das politische Motto für diese Bücher: „Wir gehen davon aus, dass der Kampf um Menschenrechte notwendig auch ein Kampf um Frauenrechte sein muss. Wir wissen, dass Frauen speziellen Formen der Unfreiheit und Ungerechtigkeit unterworfen sind, dass ihre Beteiligung am politischen Handeln auf besondere Hindernisse stößt. Diese Hindernisse sichtbar zu machen, wo möglich abzubauen – durch Erfahrungsberichte, Erklärungsversuche und Lösungsvorschläge – ist das Ziel von „frau aktuell“.
1982 gründete sie das „Hamburger Familienplanungszentrum HH e. V.“, das Beratung zu Themen wie Sexualität, Empfängnisverhütung, Schwangerschaft und Sexualpädagogik anbot und mit Pro Familia (Deutschland) und der Arbeiterwohlfahrt kooperierte (das HFHH firmiert heute nach 30 Jahren unter der Adresse: Bei der Johanniskirche 20 in Altona, www.familienplanungszentrum.de). 2003 wurde sie Ehrenvorsitzende des Vereins.
Zu einem Zeitpunkt im Leben, an dem andere sich auf den Ruhestand vorbereiten, begann von Paczensky noch einmal etwas Neues: Nach einem Studium der Soziologie und Sexualwissenschaft in Hamburg promovierte sie 1981 mit 58 Jahren an der Universität Bremen. Ihre Dissertation „Soziale Beziehungen lesbischer Frauen“ erschien unter dem Titel „Verschwiegene Liebe“ in einem populären Buchverlag und behandelt die Diskriminierung lesbischer Frauen in der Gesellschaft.
Danach lebte und arbeitete sie von 1991 bis 2001 als Auslandskorrespondentin in San Franzisco. Der deutschen Wiedervereinigung und dem damit einhergehendem Aufleben patriotischer Stimmungen begegnete sie mit großer Skepsis. Ein „Großdeutsches Reich“, wie sie es nannte, wollte sie nicht noch einmal erleben. Eine politisch engagierte Zeitgenossin blieb sie auch in Berkeley/Kalifornien. Sie schrieb für DIE ZEIT, für Brigitte und für die Süddeutsche Zeitung. Nun waren es der Strafvollzug in den USA und die Todesstrafe, gegen die sie sich einsetzte: Warum dürfen die Bürgerrechte, auf die US-Amerikaner so stolz sind, für den Verurteilten nicht gelten? Aber auch dem heute allgegenwärtigen, ihrem eigenen Thema des Älterwerdens begegnete sie mit Offenheit und Humor.
2004 kehrte sie nach Deutschland zurück: „Ich wollte nach Hause. Ich bin jetzt 80“. In Hamburg unterstützte sie Migrantinnen dabei, Deutsch zu erlernen. Schloss sich hier der Kreis zu ihrer frühen Jugend in Litauen, die sie so viel gelehrt hatte?
Text: Dr. Cornelia Göksu
 

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