Hamburger Frauenbiografien

Frauenbios

Annie Kienast

(15.9.1897 Hamburg - 3.9.1984 Hamburg)
Betriebsrätin, Abteilungsleiterin, Mitbegründerin der DAG, Mitglied (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft in der ersten frei gewählten Bürgerschaft nach dem Ende des Nationalsozialismus, Oktober 1946 bis Oktober 1949
Diekmoorweg 7 (Wohnadresse)
Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756, Grabstein im Garten der Frauen
Hamburger Rathaus, Rathausmarkt (Wirkungsstätte)
Namensgeberin für Annie-Kienast-Straße (benannt 2016)
Foto: Staatsarchiv Hamburg
Annie Kienast wuchs mit fünf Geschwistern im Arbeitermilieu auf - der Vater war Kesselschmied, die Mutter ein ehemaliges Dienstmädchen, beide SPD-Mitglieder. Annie Kienasts Bildungslaufbahn entsprach dem eines Mädchen aus der Arbeiterschicht: Volksschule, danach Lehre als Textil-Verkäuferin.
Geprägt durch ihre Eltern wurde auch Annie Kienast Mitglied der SPD (ab 1918) und der Gewerkschaft. Da war sie 21 Jahre alt. Ihr politisches Hauptinteresse galt der Gewerkschaftsarbeit. Sie engagierte sich im „Zentralverband der Handlungsgehilfen“ (ZdH) bzw. dessen Nachfolgeorganisation, dem „Zentralverband der Angestellten“ (ZdA).
Im Februar 1918 gehörte Annie Kienast zu den Organisatorinnen des ersten Streiks der Hamburger Warenhausangestellten. Darüber erzählte sie: „Es war einige Tage nach dem 9. November 1918. In Schlagzeilen zeigte das Flugblatt eine öffentliche Versammlung für die Waren- und Kaufhausangestellten an:
‚Wir fordern bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen!
Wir fordern gleiche Bezahlung für Frauen und Männer!
Wir fordern 7-Uhr Ladenschluß am Sonnabend!
Referent: Kollege John Ehrenteit‘
Die Versammlung fand im großen Saal des Gewerkschaftshauses in Hamburg statt. Tausende von Einzelhandelsangestellten sind damals diesem Ruf gefolgt. Natürlich, ich war auch dabei (...). Eine Tarifkommission wurde gewählt. Die Versammlung zog sich bis nach Mitternacht hin, vor Begeisterung hatte ich es nicht gemerkt (...).
Es ging ans Werk. Der Tarifvertragsentwurf wurde ausgearbeitet und beraten. Wir zogen in die Verhandlung mit den Arbeitgebern; aber kein Baum fällt auf den ersten Hieb. Darum wurde verhandelt, vertagt und berichtet. Kurzfristig wurde die Kollegenschaft abermals zur Versammlung eingeladen; einmütig wie in der ersten stand sie zur Sache! Die Arbeitgeber erklärten, wenn unsere Forderungen Wirklichkeit würden, müßten sie ihre Geschäfte schließen. Im Februar 1919 wurden die Verhandlungen abgebrochen. Als letztes gewerkschaftliches Kampfmittel wurde der Streik beschlossen und angewandt, er dauerte sechs Tage.
Die Einmütigkeit und Entschlossenheit führten zum Erfolg: bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer, 7-Uhr-Ladenschluß am Sonnabend. Das war mein erstes gewerkschaftliches Erlebnis (...)." [1]
Die Quittung für ihr Engagement war: Annie Kienast wurde entlassen, konnte aber sofort bei der ZdA-Hamburg tätig werden. Dort arbeitete sie von 1919 bis 1921 als Sekretärin des ZdA-Ortsvorsitzenden John Ehrenteit. Zwischen 1921 und 1933 war sie als Warenhausverkäuferin im Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion" beschäftigt und 1933 Mitglied des Gesamtbetriebsrates der „Produktion" und damit eine der wenigen Betriebsrätinnen der Hansestadt.
Als Gewerkschafterin setzte sie sich besonders für die Probleme der erwerbstätigen Frauen ein. Beruf, Gewerkschaftsarbeit und Politik füllten ihr Leben aus, deshalb blieb sie ledig.
Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen: „verlor [ich] 1933 meine Stellung und war dann bis 1935 arbeitslos. Dann bekam ich eine Anstellung bei der Defaka. 1943 mußte ich zum Chef kommen. Der Chef hat gesagt: 'Frau Kienast, zum zweiten Mal wird mir mitgeteilt, sie halten in der Kantine kommunistische Reden!' Ich sag: 'Nein' und daß das eine Verleumdung ist. Aber das war außerordentlich gefährlich! Ein Jahr später mußte ich wieder zum Chef. Da war die Vertreterin von der NS-Frauenschaft gestorben, und da sagt der Chef zu mir: 'Wir möchten gerne, daß Sie die Stellung von Valeska übernehmen'. Das müßt Ihr Euch mal vorstellen, wie schwer das ist, sich da rauszuwinden! Da hab ich gesagt: 'Das tut mir furchtbar leid, das kann ich nicht. Ich muß meine armen, alten Eltern betreuen. Ich muß abends immer sofort nach Hause.' 'Nein, das brauchen sie nicht, wir stellen ihnen 'ne Frau, die immer bei ihren Eltern ist'. Und da sage ich: 'Nein, das tut mir furchtbar leid, aber das würden meine Eltern nicht durchhalten.' Und da bin ich so davon gekommen." [2]
Gleich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus schloss sich Annie Kienast wieder der SPD an und wurde im Oktober 1946 in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt, der sie bis Oktober 1949 angehörte.
In der Nachkriegszeit war sie Mitbegründerin der DAG und gehörte bis 1957 ihrem Hauptvorstand an.
Als sie 1982 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen sollte, lehnte sie dies ab. So erhielt sie stattdessen die Medaille für Treue Arbeit im Dienste des Volkes.
Ihre letzte Wohnadresse war der Diekmoorweg 7, nebenan im Diekmoorweg 8 lebte ihre Schwester Elisabeth.
Text: Rita Bake
Quellen:
1 Anni Kienast: Wie ich Gewerkschafterin wurde. In: Frauenstimme der DAG, Nr. 9, September 1955.
2 Frauen im Faschismus. Frauen im Widerstand, Hamburger Sozialdemokratinnen berichten. Hrsg. von der AsF Hamburg o.J.
Vgl. auch: Anni Kienast: Die Frau und die Gewerkschaft. In: Gewerkschaftliche Frauenzeitung vom 19.7.1921.)
 

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