Hamburger Frauenbiografien

Frauenbios

Elise Reimarus

( Margaretha Elisabeth, gen. Elise Reimarus )
(22.1.1735 Hamburg – 2.9.1805 Hamburg).
Erzieherin, Schriftstellerin
Schwägerin: Christina Sophie Reimarus geb. Hennings
Mittelpunkt des Theetisches im Hause Reimarus
Fuhlentwiete 122
Namensgeberin für: Reimarusstraße in Hamburg Neustadt, seit 1902, benannt nach Hermann Samuel Reimarus und Johann Albert Reimarus. 2001/2002 ergänzt um die ebenso bedeutende Tochter und Schwester Elise Reimarus.
Neuer Erläuterungstext: benannt nach Hermann Samuel R. (1694 - 1768), Professor am Hamburger Akademischen Gymnasium, dessen Sohn Dr. Johann Albert Heinrich R. (1729 - 1814), Professor ebenda und Arzt, und deren Tochter bzw. Schwester Margaretha Elisabeth, genannt Elise R. (22.1.1735 Hamburg – 2.9.1805 Hamburg), Erzieherin, Schriftstellerin und zentrale weibliche Persönlichkeit der Aufklärung in Hamburg
Elise Reimarus, Quelle: Staatsarchiv Hamburg
Die ehemals zum Rödingsmarkt führende Fuhlentwiete heißt heute in ihrem unteren Abschnitt Stadthausbrücke, und hier, etwa auf der Höhe der Baubehörde, muss einst das Haus mit der Hausnummer 122 gestanden haben. Der Hausherr war Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), Professor für orientalische Sprachen am Akademischen Gymnasium, seine Frau Johanna Friderica geb. Fabricius, die ebenfalls einer Gelehrtenfamilie entstammte, aber anscheinend keine besondere Bildung erhalten hatte. Von ihren drei Kindern, Johann Albert Hinrich, Margareta Elisabeth und Hanna Maria blieb die unverheiratete Elise im Elternhaus. Und auch der Sohn, der Arzt und Naturforscher Johann Albert Hinrich kehrte mit seiner zweiten Frau Sophie 1770 in die Fuhlentwiete zurück, nachdem sein Vater zwei Jahre zuvor gestorben war. Man führte ein offenes Haus, dessen Mittelpunkt die Frauen Elise und Sophie Reimarus waren. Ihr Theetisch bildete bald einen weit über die Grenzen der Stadt hinaus berühmten Ort der Hamburger Aufklärung.
Elise Reimarus hatte eine umfangreiche Bildung genossen, und als die erste Frau ihres Bruders, Johanna Maria geb. Thorbecke, 1762 im dritten Kindbett starb, übernahm Elise im elterlichen Haus die Pflege und Erziehung des dreijährigen Neffen Hermann Dietrich und seiner ein Jahr jüngeren Schwester Johanna Margaretha gen. Hannchen, während der Vater der Kinder zunächst weiter bei seinen Schwiegereltern wohnte. Später unterrichtete sie auch an der 1787 von ihrer Freundin Caroline Rudolphi (1754–1811) in der Hammer Landstraße 75 gegründeten „Erziehungsanstalt für junge Demoiselles” von sechs bis 21 Jahren.
Zu der praktischen pädagogischen Arbeit gesellte sich ein schriftstellerisches Werk. Zwischen 1764 und 1766, als gute Kinderliteratur noch Mangelware war, schrieb die einem aufklärerischen Bildungsideal verpflichtete Elise Reimarus Texte für Kinder – meist in Dialogform oder als kleine Bühnenstücke mit genauen Altersangaben für die Hauptpersonen. Wie kindgerecht diese Stücke waren, zeigt sich darin, dass der Schriftsteller und Pädagoge Joachim Heinrich Campe sie später in seine „Kleine Kinderbibliothek“ (Hamburg 1778–1785) aufnahm. In seinem Almanach erschienen nur Beiträge, die vorher mit Kindern erprobt worden waren. Zwei die Kindererziehung theoretisch fundierende Stücke von Elise Reimarus ließ Campe 1778 in den vom Dessauischen Philanthropinum herausgegebenen „Pädagogischen Unterhandlungen“ drucken. Auch das sich im Staatsarchiv Hamburg befindende und bisher unveröffentlichte Manuskript „Die Freundschaft auf der Probe“, die in Gegensatzpaaren konstruierte rührende Geschichte zweier Freunde, die sich an Edelmut und Treue überbieten, gehört in den Bereich der didaktischen Literatur, wie schon die ersten Sätze der Erzählung zeigen: „In einer von den Sittenschulen, die die englische Jugend besucht, die Pflichten des Menschen und Bürgers zu erlernen, ihren Geist aufzuklären und ihr Herz zu veredlen, waren Nelfon und Blanford durch eine Freundschaft bekannt, die der ältesten Zeiten würdig war. Nach geendigten Studien, ergriff jeder den Stand, dazu ihn die Natur berief. Blanford, thätig, stark und muthvoll, entschied sich für die Waffen und den Seedienst. Reisen wurden eine Schule. Abgehärtet zu den Beschwerden, durch Gefahren unterrichtet, stieg er, von Stufe zu Stufe, bis zum Commando eines Schiffes. Nelfon, mit einer männlichen Beredsamkeit und einem klugen tiefdenkenden Geiste begabt, war Mitglied jener Deputirten, aus denen die Nation ihren Rath besetzt; und in kurzer Zeit machte er sich bey denselben berühmt. Also diente jeder von ihnen seinem Vaterlande, glücklich durch das Gute was er ihm erwies.“
Mit ihren Übersetzungen von Dramen aus dem Englischen und Französischen bereicherte Elise Reimarus das damals noch dürftige Repertoire deutscher Bühnenstücke und trug zum Spielplan des 1779/80 in eine Krise geratenen Stadttheaters bei. Über ihre Übersetzung des „Cato“ von Joseph Addison führte sie mit Lessing, mit dem sie seit seiner Hamburger Zeit freundschaftlich verbunden war, einen Briefwechsel. Voller Vertrauen in ihr schriftstellerisches Talent ermunterte er sie, das Stück in die damals beliebten Blankverse zu übertragen. Seinerseits bat er sie fast ängstlich um ihr Urteil zu seinem „Nathan”: „Nötig hätt ichs wohl, daß Sie ein wenig gut davon urteilten, um mich wieder mit mir selbst zufrieden zu machen.” (Brief vom 14.5.1779). Neben Lessing waren Männer wie Moses Mendelssohn und Friedrich Heinrich Jacobi Elise Reimarus’ Briefpartner.
Auch Elise Reimarus jüngere Schwägerin Sophie, Tochter des Staatsrats Martin Hennings und Schwester des Aufklärers August Hennings, die allgemein nur „die Doktorin“ genannt wurde, war dem aufklärerischen Gedankengut von Vernunft und Toleranz verpflichtet. „Hier kommt und geht, wer will, und denkt auch, was er will, und sagt es ziemlich dreist, und niemand kümmert sich darum“, beschrieb sie einmal ihren Theetisch, an dem Offenheit, Heiterkeit und Herzlichkeit sowie ein ganz auf geistige Genüsse gerichteter Sinn herrschte. Die Hamburger Caspar Voght, Johann Georg Büsch, Friedrich Gottlieb Klopstock und Gotthold Ephraim Lessing in seiner Hamburger Zeit gingen hier ebenso ein und aus wie durch Hamburg reisende Gelehrte und Schriftsteller wie Adolph Freiherr von Knigge, Karl Leonhard Reinhold oder Karl August Böttiger. Sophie Reimarus wurde von ihren Zeitgenossen als geistvolle und lebhafte Gesprächspartnerin beschrieben. Wilhelm von Humboldt rühmte 1796 in seinem Reisetagebuch ihren „in hohem Grade gebildeten Verstand, und eine sehr angenehme und heitere Laune im Umgang“ und notierte weiter: „Sie soll ein außerordentliches Talent zu der leichten Gattung des Stils haben, und über die Vortrefflichkeit ihrer Briefe herrscht nur eine Stimme.“ Ein Blick in ihre Briefe an den Bruder August Hennings bestätigt das. Es sind gescheite und schlicht formulierte Dokumente ihrer Gedanken zu Politik, Philosophie und Literatur. In ihren Berichten von den Teegesellschaften zeichnet sie lebendige Portraits der Besucher.
Einer der Besucher war Karl Friedrich Reinhard, Gesandter der französischen Republik bei den Hansestädten, später Graf und Freund Goethes. Er heiratete 1786 Sophie und Johann Heinrich Reimarus’ Tochter Christine (1771–1815), „zuverlässig eines der gebildesten Mädchen Deutschlands“, das einen umfänglichen Briefwechsel mit Wilhelm von Humboldt führte.
Seit 1902 gibt es in der Hamburger Neustadt die Reimarusstraße, benannt nach den Professoren am Hamburger Akademischen Gymnasium Hermann Samuel Reimarus und dessen Sohn Dr. Johann Albert Reimarus. 2002/2002 ergänzt um die ebenso bedeutende Tochter und Schwester Elise Reimarus. 2001 beschloss der Senat auf Initiative von Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung und des damaligen Senatsamtes für Bezirksangelegenheiten, bei einer Gruppe von 14 Straßen- und Wegenamen die an den Straßenschildern angebrachten Erläuterungen zu den Namensgebern um Informationen zu deren Ehefrauen oder weiblichen Verwandten zu ergänzen, wenn diese ebenfalls Herausragendes geleistet hatten und denselben Nachnamen tragen.
Text: Brita Reimers
Literatur:
Heinrich Sieveking: Elise Reimarus (1735–1805) in den geistigen Kämpfen ihrer Zeit. In: Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte. Band 39, 1940, S. 86–138.
 

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