Hamburger Frauenbiografien
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Liesel Deidesheimer
( Anna Margarete Marie „Liesel“ Deidesheimer )
![](https://www.lzpb-hamburg.de/hamburgde/bilder/4852_liesel-deidesheimer.jpg)
Liesel Deidesheimer wuchs in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie in Neumünster aus. Als die Textilfabrik 1913 abbrannte, ging ihr Vater Alfred Hanssen mit seiner Familie nach Hamburg und baute dort einen Lebensmittel-Großhandel auf. Hamburg wurde für Liesel Deidesheimer zur Heimat.
1934 heiratete sie den aus Passau stammenden Chirurgen Hans Deidesheimer. Das Paar lernte sich während des Medizinstudiums in Marburg kennen, wo die junge Hamburgerin nur zwei Semester studierte, während sie ihr Hauptstudium in ihrer Heimatstadt absolvierte. Dr. Hans Deidesheimer machte sich als Chirurg und als Gynäkologe einen Namen. 1936 wurde die einzige Tochter Susanne geboren. Bereits 1941 ließ sich das Paar scheiden. Die Medizinerin war seit der Hochzeitsreise gehandicapt, da eines ihrer Beine nach einem Bruch einige Zentimeter kürzer war als das andere. Nach Darstellung ihrer Tochter soll die Kinderärztin dafür gesorgt haben, dass ein befreundetes jüdisches Ehepaar NS-Deutschland verlassen konnte und so den Holocaust überlebt hat. „Das Ehepaar hatte irgendwie mit Lebensmitteln zu tun. Der Sohn hieß Martin. Meine Mutter hat dafür gesorgt, dass sie rauskamen. Als ich sie gefragt hatte, wo denn der Martin sei, hat sie mir geantwortet, dass die ins Ausland gefahren sind“, erinnerte sich Tochter Susanne Marek.
Nach dem Krieg engagierte sich die Medizinerin für soziale Außenseiter. „Meine Mutter war die einzige Kinderärztin in der Gegend, die die Kinder in den Nissenhütten versorgte“, erinnert sich Susanne Marek an eine Siedlung im Westen Langenhorns. Die Kinderärztin versorgte auch Familienangehörige, wenn sie bei der Untersuchung der Kinder feststellte, dass auch sie krank waren. Und manche von ihnen, die später straffällig geworden waren, forderten sie auch in der Strafanstalt Fuhlsbüttel an. Dort lernte sie ihren späteren Chauffeur kennen, der sie nach seiner Haftentlassung ab Mitte der 1980er Jahre zu Hausbesuchen fuhr. Sie selbst war in fortgeschrittenem Alter nicht mehr in der Lage, Auto zu fahren.
Die Pädiaterin lebte bis auf zwei kurze Unterbrechungen in Hamburg. 1943 findet sie sich im Adressbuch als Ärztin an der Neubertstraße, wo sie mit ihrer Tochter wohnte. „Ich erinnere meine Mutter immer lesend in ihrem ganz bequemen Schreibtischstuhl. Ich vermute, dass sie in dieser Zeit für ihren Facharzttitel gebüffelt hat“, sagte Susanne Marek. Noch im Jahr 1943 zogen Mutter und Tochter ins Haus ihrer Eltern an der Uhlandstraße um, weil sie an der Neubertstraße ausgebombt wurden. 1954 findet sie sich als Fachärztin für Kinderkrankheiten mit ihrer Praxis am Eibenweg in Fuhlsbüttel und privat mit ihrer Wohnung am Brombeerweg, ebenfalls in Fuhlsbüttel. Später verlegte sie ihre Praxis an den Woermannstieg in Fuhlsbüttel. Mit Praxis und Wohnung wechselte Deidesheimer dann etwa 1968 an den Maienweg. Anfang der 1980er Jahre zog die mittlerweile betagte Ärztin in den ersten Stock eines Drei-Parteien-Hauses, das an der Straße „ Schanzenberg“ in Hummelsbüttel liegt.
Bis ins hohe Alter hatte sie in ihrer Privatwohnung ein Untersuchungszimmer eingerichtet, in dem sie Patientinnen und Patienten empfing. „Dass sie so lange tätig war, das hat sie am Leben erhalten“, ist sich ihre Enkelin Christiane sicher. Sie lebte während ihrer Ausbildung zur Arzthelferin von 1985 bis 1987 bei ihrer Oma. Mütter ehemaliger Patientinnen und Patienten kümmerten sich in ihren letzten Lebensjahren um die Kinderärztin. Sie war zum Schluss verarmt, weil sie wenig für ihre Altersversorgung getan hatte und nicht mit Geld umgehen konnte. Während sie als Kinderärztin „sehr energisch und dominant“ sein konnte, wie sich die Mutter zweier ehemaligen Kinderpatienten erinnerte, so soll sie im Alter „sehr mild und geistig noch recht lange rege“ gewesen sein.
Von nahezu allen ihrer ehemaligen KKR-Kolleginnen, die dort Kinder mit Behinderung getötet hatten, ist nicht überliefert, dass sie nach dem Krieg Kinder mit Behinderung behandelt hätten. Liesel Deidesheimer war mit der 20 Jahre jüngeren Sofie Brinkmann befreundet. Sie entdeckte, dass ihr 1952 geborener Sohn Peter behindert war. Sie kümmerte sich noch um ihn, als er schon ein junger Mann war. Zum Ende hatte sie selbst nahezu nichts mehr. Für ihre Patientinnen und Patienten und ihre Tochter und Enkelin gab sie quasi ihr letztes Hemd.
Text: Andreas Babel
Quellen:
Andreas Babel: Kindermord im Krankenhaus. Warum Mediziner während des Nationalsozialismus in Rothenburgsort behinderte Kinder töteten. Bremen, 3. Auflage 2021.
Staatsarchiv Hamburg: Staatsanwaltschaft Hamburg, Ermittlungsverfahren gegen Bayer und andere, Aktenzeichen 14 Js 265/48.
Andreas Babel: Kindermord im Krankenhaus. Warum Mediziner während des Nationalsozialismus in Rothenburgsort behinderte Kinder töteten. Bremen, 3. Auflage 2021.
Staatsarchiv Hamburg: Staatsanwaltschaft Hamburg, Ermittlungsverfahren gegen Bayer und andere, Aktenzeichen 14 Js 265/48.