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Fanny Müller

( Fanny Müller (eigentlich Ingeborg Glock) )
(17.7.1941 in Helmste, Lkr. Stade/Niedersachsen – 17.5.2016 Hamburg?, vgl. Quelle 1)
Pädagogin, Schriftstellerin und Satirikerin
Lerchenstraße 37 (Graue Panther e.V., Wirkungsstätte)
Altstädter Twiete 1 (Redaktion Hinz & Kunzt, Wirkungsstätte)
Schwanenwik 38 (Literaturhaus Hamburg)
Auf dem Bild als Ingeborg Glock, Foto: Parlamentarischer Informationsdienst der Hamburgischen Bürgerschaft
„Ne Maak? Ich hab’ selbs nich ne Maak! Ihr seid doch jung und gesund. Ihr könnt doch ma ´ne Bank überfall’n!“, konterte Fanny Müllers Kunstfigur, Frau K., die Schnorrerei von Punks ‚auffe Schanze’. In ihren liebenswerten bis bösartigen Glossen war Frau K. ihre Nachbarin im Schanzenviertel, eine in die Jahre gekommene, ungepflegte geschiedene Witwe mit ihrem verfetteten Dackel Trixi, die von nüchterner Lebenseinschätzung und Schlagfertigkeit nur so strotzte.
Nach dem Abitur absolvierte Ingeborg Glock eine Hotelfachlehre. Da war sie noch weit entfernt vom Leben ihrer Fanny Müller. Als eine in der Kleinstadt Geborene und trainiert in vielen Jobs, lernte sie, „dem Volk aufs Maul“ zu horchen. Ab 1970 studierte sie Pädagogik und Soziologie. Danach war sie elf Jahre als Lehrerin an einer technischen Gewerbeschule tätig. Später unterrichtete sie erwachsene deutsche Analphabeten im Rahmen der Volkshochschule [2].
„Glock war Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW und des Vereins Graue Panther e.V. in Hamburg. Außerdem engagierte sie sich als Vertrauensfrau und Schulkreissprecherin. Sie sympathisierte mit der Bunten Liste und war Gründungsmitglied der Alternativen Liste. 1986 trat sie für die Grün-Alternative Liste GAL, die in jenem Jahr erstmals eine reine Frauenliste aufgestellt hatte, bei der Bürgerschaftswahl an und zog im November in die 12. Hamburgische Bürgerschaft ein. (Siehe im Eintrag: GAL-Frauenfraktion) Ihre aus 13 GAL-Politikerinnen bestehende Frauenfraktion war zwar umstritten, hatte aber in der 12. Legislaturperiode relativ viel Einfluss auf Entscheidungen des Landesparlaments, da die SPD bei Beschlussfassungen auf ihre Stimmen angewiesen war und auch die CDU mit den GAL-Stimmen die SPD überstimmen konnte. Bereits im Mai 1987 wurde die Bürgerschaft jedoch nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen erneut gewählt und Glock verlor ihr Mandat“ [3].
Unter dem Pseudonym Fanny Müller [4] schrieb sie ihre Geschichten von Frau K., die zunächst im Satiremagazin Kowalski und in der Hamburger taz erschienen. Während einiger Zeit hatte das Satiremagazin Titanic unter dem Titel „Mit den Augen einer Frau“ [5] eine Kolumne von Fanny Müller gedruckt. Sie schrieb zudem für Jungle World, Brigitte, Stern, Weltwoche, Frankfurter Rundschau und Spiegel spezial.
Ab 1994 erschienen Fanny Müllers Texte auch in Buchform. Bereits im ersten Band waren Alltagsgeschichten von der alten Nachbarin Frau K. und deren Dackel Trixi im Hamburger Schanzenviertel versammelt, die auch in späteren Veröffentlichungen häufig vorkommen. Ihre ersten beiden Bücher veröffentlichte der Verlag Weisser Stein, danach wechselte sie zur Edition Tiamat. Deren Verleger Klaus Bittermann pries in einem Nachruf ihren „ruppigen und doch gleichzeitig liebenswerten Humor“ [6]. 2005 wurde sie für ihre „witzig bösartigen Glossen“ mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet“ [7]. Den Literaturpreis hatte der Schriftsteller, Journalist und Flaneur „der kleinen Leute“ Ben Witter (1920-1993) testamentarisch gestiftet. In Wertschätzung ihrer langjährigen Verbindung zum Hamburger Obdachlosenmagazin Hinz & Kunz widmete die Ausgabe v. 2. Juni 2016 ihr anstelle eines Nachrufs den Wieder-Abdruck eines Interviews, das sie 10 Jahre zuvor – zusammen mit dem langjährigen Leiter des Literaturhauses Rainer Moritz – gegeben hatte. Darin sprach sie über ihre Lieben zum Lesen und Schreiben. Auf die Frage: „Frau Müller, wem helfen ihre Bücher, das Leben zu bestehen?“, resümierte sie: „Ich habe meine Bücher natürlich nie unter diesem Aspekt geschrieben. Das was mir gerade passiert ist, habe ich aufgeschrieben, fertig. Aber mir haben mittlerweile sechs oder sieben Frauen gemailt, dass sie in Situationen waren, wo sie sehr depressiv waren, fast hin bis zur Einlieferung in die Psychiatrie, und sie hätten mein Buch ‚Keks, Frau K. und Katastrophen’ gelesen, und das hätte sie wieder total nach vorne gebracht“. In den 2000er-Jahren hatte sich Fanny Müller auch als Jury-Mitglied beim Hinz & Kunzt-Schreibwettbewerb engagiert [8].
Unter dem Titel „Lustig und links“ setzte ihr der Journalist Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung ein angemessenes Denkmal. Er schrieb ihr Leben in liebevollem Satirestil: „Fanny Müller, jetzt 74-jährig verstorben, hieß eigentlich Ingeborg Glock und war Berufsschullehrerin. Ihre Kolumnen über ‚Frau K.’ machten sie zur großen Dichterin des Alltags im Hamburger Schanzenviertel.
Die böse Politik, das weiß jeder Klippschüler, verdirbt den besten Charakter. Manche machen sogar einen Beruf daraus, werden Kanzlerkandidat oder Generalbundesbevollmächtigte für dies & das. Die Berufsschullehrerin Ingeborg Glock kandidierte 1986 für die Grün-Alternative Liste (GAL) und zog mit zwölf weiteren Frauen in die Hamburger Bürgerschaft ein. Der regierende Stadtadel in Gestalt von Klaus von Dohnanyi musste fortan mit der verachteten Frauenfraktion regieren. Lang währte das ‚Feminat’ nicht, es wurde neu gewählt, und Frau Glock kehrte an die Berufsschule zurück und unterrichtete wieder lernunwillige Lehrlinge und erwachsene Analphabeten.
Die Monate in der Politik hatten allerdings auch sie verändert: Frau Glock verwandelte sich unbemerkt in Fanny Müller, die Beobachterin, die Silbenstecherin, die Miniaturistin. So gründlich gelang ihr der Wechsel von der Politik in die Kunst (...). Frau Müller begann sich bedenkenlos an Zeitungen zu verschwenden, die wie die taz und Titanic noch heute von ihr träumen. Ihr Medium war die Frau K., die natürlich wegen Brecht so hieß, aber komischer und deshalb auch gescheiter vom Leben zu erzählen wusste als der Herr Keuner. Außerdem wohnte Frau K. im Karoviertel, verfügte über einen unbrauchbaren Hund, drei lästige Nichten und über etwas, das zum Glück schon lang nicht mehr Mutterwitz heißt. So klang Fanny Müller: ‚Vor einigen Jahren gab es eine Ausstellung in Hamburg Ärzte malen. So was muss ja nicht sein. Eine Ausstellung Maler operieren gab es leider nicht. Das wäre bestimmt amüsanter gewesen. Und farbiger.’
Doch wie sollte sie damit groß rauskommen? Sie vertrante sich ums Verrecken nicht in Literaturromanen, kolumnierte auch nicht zu Finanz-, Kultur- und weiteren Krisen, sondern schöpfte lieber aus ihrer reichen Erfahrung als Au-pair, Buffet-Stütze und Biker- und Bildzeitungsredakteursbraut. Nur die Politik sparte sie aus, wenn sie nicht die Frau K. ihren Hund ‚Arbeiterverräter’ schimpfen ließ. Immerhin gab es dafür den Ben-Witter-Preis.
Wie Harry Rowohlt, wie Horst Tomayer blieb sie unerschütterlich links. Die Zeitschrift konkret zitiert sie so: ‚Ich habe schon so und so oft versucht, Extremismus gegenüber demokratischen Verhältnissen zu schüren, aber es ist mir noch nie gelungen.’ Am 17. Mai ist die Hamburger Dichterin Fanny Müller im Alter von 74 Jahren gestorben. Der Politik wird sie weiter fehlen“ (Auszug aus Quelle 4).
Zur Erinnerung an Fanny Müller wurde am 5. Juni 2016 ein Gedenkabend im Pollittbüro am Steindamm 45 gegeben: Auf Einladung von Lisa Politt lasen Kollegen und Freund_innen aus Texten der verstorbenen Satirikerin. Mit dabei war neben vielen prominenten Wegbegleiter_innen auch ihre Nichte Annette Köhler [8].
Die Urnenbeisetzung fand am 7. Juni 2016 auf dem Friedhof Helmste/Deinste, Schulstraße 15, statt. Auf die Traueranzeige, erschienen am 3.6.2016 im Stader Tageblatt und in der Nordsee Zeitung, hatten ihre Nichten Annette Köhler, Agnes, Alice und ihre Schwester Hedwig eines der bei Fanny Müller so beliebten lakonischen Zitate gesetzt:
Das Maultier
sucht im Nebel
seinen Weg.
(Goethe) [9]

Werke

Buchveröffentlichungen
– Geschichten von Frau K. Verlag Weisser Stein, , Greiz 1994.
– Mein Keks gehört mir. Greiz 1995
– mit Susanne Fischer: Stadt Land Mord. Edition Tiamat, Berlin 1996
– Das fehlte noch. Edition Tiamat, Berlin 1997
– Für Katastrophen ist man nie zu alt. Berlin 2003
– Alte und neue Geschichten von Frau K. Berlin 2003
– Keks, Frau K. und Katastrophen. Alle Geschichten von Fanny Müller. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2004
– Schon wieder Weihnachten. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2008
Audio-CDs
– Tanzen und Toben ohne Weiber. Edition Tiamat, 2006
– Fanny Müller liest Grimms Märchen. Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2008
Text: Dr. Cornelia Göksu
Quellen:
1 Satirikerin: Fanny Müller ist tot. In: SPIEGEL ONLINE sowie de.wikipedia.org/wiki/Fanny_Müller
2 Daten zum Werdegang teilweise aus Wikipedia-Eintrag sowie Eintrag: Glock, Ingeborg. In: Handbuch der Hamburgischen Bürgerschaft: Personalien. Wahlperiode 12. 1987. Bürgerschaft, Hamburg 1987, S. 143–144
3 Ingeborg Glock. In: Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt“ Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft. 1946 bis 1993. Landeszentrale für Politische Bildung. Dölling und Galitz, Hamburg 1995, hier S. 278; zu Fanny Müller s. auch S. 341.
4 Vgl. Willi Winkler: Nachruf: Lustig und links. In: Süddeutsche Zeitung v. 16.5.2016 = sueddeutsche.de/kultur/nachruf-lustig-und-links-1.30023; abgerufen 21.3.2017 CG
5 Kostprobe der Kolumne „Mit den Augen einer Frau“ unter titanic-magazin.de/news/fanny-mueller-ist-tot-8096/
6 Quelle: Klaus Bittermann, Nachruf Fanny Müller: Spott und Wahrheit. In: taz.de, 21.5.2016 laut Artikel Wikipedia; Beitrag ist im März 2017 nicht mehr abzurufen; diese Information ist dem Wikipedia-Beitrag entnommen, genauso die Quellenangabe, CG.
[7} Zitat aus Artikel „Fanny Müller“ in wikipedia unter de.wikipedia.org/wiki/Fanny_Müller:, abgerufen am 21.3.2017 CG
8 Zitat aus: hinzundkunzt.de/erinnerung-an-fanny-mueller
= Interview mit Frank Keil, wiederveröffentlicht unter dem Titel: Schriftstellerin aus dem Schanzenviertel. Abschied von Fanny Müller. Donnerstag, 2. Juni 2016. Erstveröffentlichung des Interviews in: Hinz & Kunzt. Das Hamburger Strassenmagazin, unter dem Titel: Lesen war immer mein Liebstes“ in: Hinz & Kunzt, H. 163, September 2006 = hinzundkunzt.de/„lesen-war-immer-mein-liebstes“
9 Dieses „Motto meines Lebens“ ist ein Zitat aus der Episode „Rundfunkgebühren“ in: Fanny Müller: Keks, Frau K. und Katastrophen. Frankfurt/Main 2040, S. 377. Es ist eine Zeile aus der 3. Strophe des Gedichts „Mignon. Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n“ von Johann Wolfgang von Goethe in allen drei Bänden des Entwicklungsromans „Wilhelm Meister“.
 

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