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Recha Ellern

(1898 Nürnberg - 1973 Tel Aviv)
Sozialfürsorgerin der Altonaer jüdischen Gemeinde; versorgte und betreute Menschen, die im Rahmen der „Polenaktion“ vom Altonaer Bahnhof aus abgeschoben werden sollten, verhalf etlichen Menschen zur Emigration; wanderte 1939 nach Palästina aus
Gedenkstein für Recha Ellern vor der ehemaligen Grünestraße 5, heute Kirchenstraße. Damals befand sich hier im Haus Nr. 5 die Gemeindeschule und der „Israelitisch-humanitäre Frauenverein“
Namensgeberin für Recha-Ellern-Weg, Altona-Nord seit 2016
In einem Artikel über Recha Ellern heißt es: „Die in Nürnberg geborene Recha Ellern war 24 Jahre alt, als sie 1922 in Hamburgs kleiner Nachbargemeinde zu arbeiten begann. Zu ihrem Klientel gehörten die vielen jüdischen Zuwanderer aus Polen, die sich seit dem Ersten Weltkrieg in Altona niedergelassen hatten. Die in Nürnberg geborene couragierte Recha Ellern, Absolventin einer Berliner Frauenfachschule mit beruflichen Erfahrungen im kaufmännischen Bereich, widmete sich mit großem Engagement insbesondere der heranwachsenden Generation. Ihr Büro befand sich in der damaligen Grüne Straße 5. Recha Ellern war allgemein beliebt, geachtet und – wegen ihrer Durchsetzungskraft – gefürchtet. Zeitzeugen berichten, mit welch kreativer Findigkeit und immensem Elan sie am 28. Oktober 1938 der Polizei, die seit den frühen Morgenstunden polnische Juden verhaftete, deren Pässe an sich nahm und sie zunächst in einer großen Halle festhielt, zahlreiche Schützlinge abtrotzte.“ [1]
Und weiter heißt es in diesem Artikel: „Am 28. Oktober 1938 wurden ungefähr 1000 Hamburger Juden polnischer Staatsangehörigkeit in den kleinen Grenzort Zhaszyn deportiert. Recha Ellern, Sozialfürsorgerin der Altonaer Jüdischen Gemeinde, rettete an diesem Tag etliche vor einem ungewissen Schicksal.“ [2]
Recha Ellern war auch als Fürsorgerin des „Israelitisch-humanitären Frauenvereins“ tätig. Später wurde sie die Leiterin der gesamten Wohlfahrtsabteilung der jüdischen Gemeinde. Darüber hinaus war sie die langjährige Vorsitzende der „Gruppe berufstätiger Frauen im Stadtverband jüdischer Frauenvereine“.
Susanne Goldberg, Ulla Hinnenberg und Erika Hirsch lassen in ihrem Aufsatz „Erinnerung an Recha Ellern. Eine jüdische Gemeindeschwester in der Nazizeit“ den Zeitzeugen Rudolf Gräber über Recha Ellern berichten. Rudolf Gräber war damals der Betreuer der älteren Jungen im Kindertagesheim an der Grüne Straße 5. Über die „Polenaktion“ im Herbst 1938, damals war die ledige Recha Ellern 38 Jahre alt, berichtet er: „Wir konnten uns (…) in der großen Halle frei bewegen, konnten sogar telefonieren. Es wurde inzwischen Mittag, und da erschien Recha Ellern. Sie war ähnlich wie eine Krankenschwester gekleidet mit der Haube, auf welcher sich die Buchstaben ZJW (Zentralstelle jüdischer Wohlfahrtspflege) befanden. (…) Recha Ellern wurde von den Anwesenden bestürmt. Niemand wußte, was geschehen wird, jeder wollte irgendwelche Auskunft haben. Und hier begann ihre Arbeit. Als Vertreterin der Jüdischen Gemeinde nahm sie sofort Kontakt auf mit dem Oberinspektor, bei dem sich auch alle den Inhaftierten abgenommenen Pässe befanden. Und nun einige Beispiele ihrer Tätigkeit: eine Frau wurde ohnmächtig. Ein Polizist rief: ‚Schwester, hier ist jemand ohnmächtig geworden!‘ (Er glaubte nämlich auf Grund ihrer Kleidung, daß sie Krankenschwester sei). Recha Ellern: ‚Ich kenne diese Frau, sie ist schwer herzleidend und muß sofort ins Krankenhaus.‘ Eine Ambulanz wurde bestellt, die Frau ins jüdische Krankenhaus gebracht und war so vor der Abschiebung bewahrt. Eine Familie, Ehepaar und 2 oder 3 kleine Kinder. Nach einem Monat sollten sie zum amerikanischen Konsulat kommen, um ihr Einreisevisum nach USA zu erhalten. Recha Ellern bat sich beim Oberinspektor die Pässe aus. Dann fuhr sie zum amerikanischen Konsulat, erklärte dort die Sachlage und sagte, wenn diese Familie jetzt ihr Visum bekommt, werden sie nicht abgeschoben. Der Konsul ließ sich überzeugen, stempelte das Einreisevisum in die Pässe. Recha Ellern ging in ein Reisebüro, bestellte die Schiffskarten und gab eine Anzahlung. Diese Familie konnte nach Hause gehen und in Ruhe ihre Auswanderung vorbereiten. (…) Ein anderer Fall: jemand hatte noch geschäftliche finanzielle Verpflichtungen, denen er unbedingt nachkommen musste. Er wurde befreit. Sie legte Atteste vor, wonach jemand so schwer krank war, daß beim Transport für ihn Lebensgefahr bestand. Ich weiß nicht, wie sie es überhaupt physisch schaffte: Das Laufen vom Oberkommissar zur Halle, von der Halle zu verschiedenen Ämtern, Konsulaten, wieder zurück zum Oberkommissar, etc.‘“ [3] Herr Gräber berichtet weiter über Recha Ellerns Schicksal: „,Recha Ellern blieb noch in Deutschland, und dann sollte sie raus. (…) Zertifikate gab es nicht. Und da hat man gesagt, gut (…). Es ging gerade ein Kindertransport (…).‘ Recha Ellern wurde als Begleiterin eingesetzt. Als man den Transport zusammengestellt hatte und es losgehen sollte, war Recha Ellern bereits in Berlin, um dort vom Palästinaamt ihren Paß entgegenzunehmen. Dieser war jedoch plötzlich verschwunden. [Herr Gräber dazu:] ‚Da hat Recha Ellern gesagt: ‚Wenn jetzt mein Paß innerhalb von zwei Stunden nicht da ist, werde ich zur Gestapo gehen, und dann werden wir ja sehen, wer dort mehr Ansehen hat, ihr oder ich!‘ Man hat gewußt, sie macht Ernst. Ja und dann hat man alles zunterst- und zuoberstgekehrt und hat den Paß gefunden.‘ Da der Transport inzwischen bereits aufgebrochen war, setzte sie sich in ein Flugzeug und erreichte die Kinder noch in München. Ab Italien wurde die Reise mit dem Schiff fortgesetzt, das als ersten Hafen in Palästina Tel Aviv ansteuerte. [Herr Gräber:] ‚Und da haben die Engländer gesagt: ‚Na ja, Sie waren Transportbegleiterin. Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt, also fahren Sie wieder zurück.‘ Und da hat sie (…) auf Englisch gesagt: ‚Ja glauben Sie denn, daß ich diese Reise gemacht habe, nur um mir Palästina vom Schiff aus anzugucken?‘ Aber es hat nichts geholfen.‘ Recha Ellern blieb auf dem Schiff und fuhr weiter Richtung Haifa. Da Bekannte und Angehörige in Palästina inzwischen gehört hatten, daß Frau Ellern eingetroffen war, versuchte man, dafür zu sorgen, daß sie doch noch an Land würde gehen können. Durch Mithilfe des Bankiers Ellern, eines Cousins, wurde versucht, die damals hohe Summe von sechzig Pfund aufzubringen, um dafür ein sogenanntes Touristenzertifikat mit begrenztem Aufenthaltsrecht für Recha Ellern zu erhalten. Als das Schiff in Haifa anlegte, verließen es die Palästinenser als erste. Unter ihnen befand sich ein Arzt. [Herr Gräber:] ‚Was hat Recha Ellern gemacht? Sie hat sich ihre Haube angezogen. Da stand ringsum drauf ZJW, Zentralstelle Jüdischer Wohlfahrtspflege (…) und ist einfach hinter dem Arzt hergegangen, und da hat man gemeint, sie ist eine Assistentin oder was, und man ließ sie durch. Da hat sie als erstes nach Tel Aviv telefoniert: ‚Um Gottes Willen, zahlt kein Geld. Ich bin da!‘ (…) Recha Ellern ließ sich in Tel Aviv nieder.“ [4] Später wurde sie schwer krank, konnte nicht mehr gehen und verstarb 1973.
Quellen:
1 Geschichtswerkstätten Hamburg (Hrsg.): Hilfe für Verfolgte in Hamburg 1933-1945. Begleitheft zur Ausstellung 2013. Hamburg 2013, S. 30.
2 Ebenda.
3 Susanne Goldberg, Ulla Hinnenberg, Erika Hirsch: Erinnerung an Recha Ellern. Eine jüdische Gemeindeschwester in der Nazizeit. In: Geschichtswerkstatt Münster : Westfälisches Dampfboot , Heft 15, 1988, S. 43f.
4 Susanne Goldberg, a. a. O., S. 46f.
 

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