Hamburger Frauenbiografien

Frauenbios

Dr. Betty Warburg

(geb. 27.9.1881 in Altona, im April 1943 aus den Niederlanden nach Sobibor deportiert)
Ärztin
Hochallee 5 (Wohnadresse, Wirkungsstätte (Praxis)), Stolperstein
Königstraße 119 (Wohnadresse)
Hagedornstraße 11 (Wohnadresse)
Betty Warburg, wurde in eine sehr bekannte jüdische Familie hineingeboren, die seit über 300 Jahren in Altona und Hamburg ansässig war und aus der bekannte Persönlichkeiten hervorgingen. Benannt nach ihrer Großmutter Betty Warburg geb. Lazarus (1782-1862), gehörte sie zum Altonaer Zweig der Warburgs. Sie war die Tochter des "Banquiers" Albert Warburg (1843-1919) und der Niederländerin Gertrud(e) Margaretha (genannt "Gerta") Rindskopf (geb. 23.11.1856 in Amsterdam). Ihre Eltern, Julius Rindskopf (1817-1875) und Helene Rindskopf geb. Cahn (1832-1865), waren Anfang der 1850er Jahre von Frankfurt/Main nach Amsterdam gezogen.
Wulf Salomon Warburg (1778-1854) hatte 1804 das Bankhaus W. S. Warburg in der damals noch dänischen Stadt Altona gegründet. Jahrzehntelang war er Präses der Hochdeutschen Israelitischen Gemeinde von Altona. Er bestimmte die Berufswahl seiner Söhne: Der älteste Sohn Lesser Warburg (1807-1851) erlernte das Druckerhandwerk und lebte später als Buchdrucker in Schleswig, der zweite Sohn Moses, genannt Moritz Warburg (1810-1886) studierte Jura, der vierte Sohn Pinchas, genannt Pius Warburg (1816-1900) wurde auf die Übernahme der Firmengeschäfte vorbereitet und auch für den dritten Sohn John (Isaac) Warburg (1812-1896) wurde der Kaufmannsberuf bestimmt. Pius Warburg führte das Familienunternehmen, mit der Altonaer Geschäftsadresse Breitestraße 15, nach dem Tod seines Vaters in zweiter Generation.
Ab 1860 wohnte er in einer Neorenaissance-Villa in der Palmaille 31. Sein Haus machte der Bankier, Politiker, Kunstsammler (seine Sammlung vermachte er dem Altonaer Museum), Musikliebhaber und Mäzen Pius Warburg zu einer bedeutenden Adresse für Künstler in der mittlerweile preußischen Stadt Altona. Hier musizierten Johannes Brahms und Anton Rubinstein, gelegentlich zusammen mit dem Hausherrn. Auch die bekannten Schriftsteller Hans Christian Andersen und Klaus Groth waren hier zu Gast. 1874 schied Pius Warburg aus dem ungeliebten Beruf aus. Sein Neffe Albert Warburg, Sohn des Justizrates Moritz Warburg, Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses (Fortschrittspartei) und Vorsitzender der Hochdeutschen Israelitischen Gemeinde Altona, setzte die verpflichtende Familientradition fort und führte in leitender Stellung das Bankhaus.
1896, nach dem Tod seines Onkels John Warburg, avancierte Albert Warburg zum alleinigen Geschäftsinhaber. Daneben amtierte Albert Warburg als erster Präses der 1898 gegründeten Industrie- und Handelskammer in Altona mit dem Ehrentitel eines königlich preußischen Kommerzienrats (später auch Geheimer Kommerzienrat) sowie Stadtverordneter. Von 1899 bis 1901 gehörte er dem Ausschuss des deutschen Handelstages an. 1905 wurde das Altonaer Bankhaus W. S. Warburg an die Norddeutsche Bank verkauft. Mit seiner holländischen Ehefrau Gerta wohnte Albert Warburg Ende der 1870er / Anfang der 1880er Jahre in einem kleinen Haus in Altona in der Bahnhofstraße 23. Hier wurden die drei Töchter geboren: Helene (genannt "Ellen") Warburg (geb. 10.9.1877), Ada Warburg (geb. 11.9.1878) und Betty Warburg (geb. 27.9.1881). Der Sohn Wilhelm Warburg (1884-1891) starb noch im Kindesalter an Diphterie.
Vor 1891 zog die Familie in die Palmaille 33. Die neu erbaute Villa hatte Manfred Semper, Neffe des bekannten Architekten Gottfried Semper, im Auftrag Albert Warburgs entworfen. Das Haus mit drei Geschossen, Keller, angebautem Ballsaal und Teehaus wurde auf dem großen Grundstück der Palmaille 31 errichtet, das sich im Besitz von Mitgliedern der Familie Warburg befand. Hier wurden Diners abgehalten zu denen neben Kaufleuten, Offizieren der Garnison und höheren Beamten des Gerichts auch Künstler und Wissenschaftler eingeladen wurden. "Sie (Anmerkung: Gerta Warburg) brachte einen neuen Stil an die Palmaille. Dem Zeitgeschmack entsprechend richtete sie einen französischen Salon ein. Jede Woche hatte sie ihren ‚jour fixe’, an dem die Altonaer Gesellschaft sich ein Stelldichein im Hause des Geheimrats gab. Kultiviert, elegant war der Lebensstil." Neun Dienstboten (Kutscher, Gärtner, Diener, Zofe, Kleinmädchen, Köchin, Küchenmädchen, Waschfrau und Plätterin) sorgten für einen reibungslosen Ablauf.
1905 malte der norwegische Künstler Edvard Munch Helene "Ellen" Warburg, das Bild wurde in der ersten Etage aufgehängt (heute hängt es im Kunsthaus Zürich). Im runden Musiksaal stand ein Steinway-Flügel. Im Esszimmer hingen holländische Portraits aus der Rindskopf-Familie. 1913 verbrachten Albert und Gerta Warburg ihren Urlaub in Monte Carlo. Im Nachbarhaus Palmaille 31 wohnte bis zu seinem Tode der Rechtsanwalt, Notar und Justizrat Dr. Salomon (genannt Siegfried) Warburg (1852-1934), ein Bruder von Albert. Er wurde auf dem Ohlsdorfer Hauptfriedhof neben seinem Bruder im Familiengrab beigesetzt.
Neben dem Haus in der klassizistischen Prachtstraße Palmaille unterhielt die Familie, wie auch andere vermögende Kaufleute, seit 1890 ein Sommerhaus in Großflottbek in der Baron-Voght-Straße 6. In dem 1840 erbauten Biedermeier-Haus mit großem Garten hatte Gerta Warburg ein Atelier einrichten lassen, um hier ungestört malen zu können. Sie bewunderte den Künstler Ernst Barlach (1870-1938) und besuchte ihn in seinem Atelier in Güstrow. Um 1903 unterstützte sie Ernst Barlach, damals in Wedel wohnhaft, bei einem Stipendienantrag. Dieser entwarf 1920 den Grabstein für das Familiengrab der Warburgs auf dem Ohlsdorfer Hauptfriedhof. 1917 wurden in das Gärtnerhaus in Großflottbek von staatlicher Seite evakuierte Helgoländer einquartiert, eine leidvolle Erinnerung für die Familie, denn Holzmöbel wurden gestohlen und der Holzzaun als Brennmaterial genutzt.
Noch vor Weihnachten 1918 wurden die Häuser in Altona und Großflottbek verkauft und die Eheleute zogen in ein Appartement des Hotels Esplanade in der Hamburger Neustadt. Dort starb Albert Warburg am 19. Februar 1919. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Königstraße (Altona-Altstadt) beigesetzt. Im Dezember 1919 erwarb Gerta Warburg auf dem christlichen Ohlsdorfer Friedhof für 3.200 Mark ein Familiengrab mit acht Grabstellen. Am 12. Januar 1920 wurde die Urne von Albert Warburg dorthin umgebettet. Der Grabstein wurde nach einem Entwurf von Ernst Barlach in Auftrag gegeben: auf einem Sandsteinquader erhob sich eine fünfstufige abgerundete Pyramide, auf eine figürliche Darstellung wurde vollständig verzichtet.
In dieser Umgebung also wuchs Tochter Betty auf. Zu ihrer Schulzeit liegen keine Informationen vor; denkbar, dass sie wie ihr Vater von einem Privatlehrer unterrichtet wurde und als Externe an der Abiturprüfung teilnahm. Ganz sicher aber gab es im Hause englische und französische Gouvernanten, die mit den drei Warburg-Schwestern Fremdsprachen übten. 1914 /1915 promovierte Betty Warburg "Über die im Jahre 1909 in der Kieler psychiatrischen und Nervenklinik beobachteten Fälle von Generationspsychosen". Die Promotionsakte der Universität Kiel ist aufgrund kriegsbedingter Schäden nicht mehr erhalten. Um 1914 wohnte sie in Altona in der Königstraße 119 und hatte einen Fernsprechanschluss mit dem Zusatz "Dr. med." angemeldet. Der Erste Weltkrieg zerstörte ihre privaten Hoffnungen, der Mann den sie heiraten wollte, starb als Soldat. Um 1920 wohnte sie in der Hagedornstraße 11 (Harvestehude), bald darauf zog sie mit ihrer verwitweten Mutter Gerta in das Haus Hochallee 5, das sie kurz zuvor erworben hatten. Dort richtete Betty Warburg auch ihre Praxis ein.
Die Inflation 1923 vernichtete einen großen Teil des Vermögens. Gerta Warburg soll deshalb zeitweilig im Kunsthandel tätig gewesen sein. Da die meisten der großformatigen holländischen Ahnenportraits nicht in die relativ kleinen Zimmer des neuen Hauses passten, wurden sie dem Rijksmuseum in Amsterdam vermacht. Noch 1935 entschloss sich Gerta Warburg, das Haus mit der Praxis umzubauen; der Steinway-Flügel wurde verkauft.
Betty Warburg hatte als praktische Ärztin 1916 die Approbation erhalten und arbeitete zeitweilig als Medizinalpraktikantin am Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus für Kinderheilkunde (Berlin). Zusammen mit Prof. Dr. Otto Kestner verfasste sie 1923 in der Klinischen Wochenschrift den Beitrag "Die Wirkung der Frühstücksgetränke auf die Verdauungsorgane".
Zum 1. April 1934 wurde Betty Warburg, wie allen jüdischen Ärzten, die Kassenzulassung entzogen. Damit verlor sie ihre wirtschaftliche Grundlage als Ärztin. Langjährige Patienten kamen eine Zeitlang noch im Schutz der Dunkelheit. Danach konnte sie nur noch Familienangehörige behandeln. Während des Novemberpogroms 1938 wurde die Emaille vom Namensschild "Dr. med. Betty Warburg" abgeschlagen. Einige Zeit später wurde sie selbst Opfer eines tätlichen Übergriffs, dabei wurde ihr Gesicht verletzt. Danach verlies sie nur noch bei Dunkelheit das Haus, um etwas Bewegung zu haben. Wie erstarrt, harrte sie tagsüber in ihrer Wohnung aus.
Während die meisten Mitglieder der Warburg-Familie noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges emigrierten, blieben Betty Warburg und ihre Mutter Gerta in Hamburg. Körperlich fühlte sich die eine, psychisch die andere einer Emigration nicht gewachsen. Die zunehmenden Repressalien ließen ihnen jedoch keine andere Wahl. Ende 1939 entschloss sich die bereits fast erblindete Gerta Warburg, nach Holland zurückzugehen, ihre Tochter Betty sollte sie begleiten. Durch die von den deutschen Behörden verlangten Gelder (Reichsfluchtsteuer, Auswanderer-Abgabe, Judenvermögensabgabe) verloren die beiden fast ihr gesamtes Kapital. Mutter und Tochter emigrierten am 8. Mai 1940 in die Niederlande, das Geburtsland Gertas, die nach dem Tod ihres Mannes 1919 wieder die niederländische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Nur zwei Tage später besetzten deutschen Truppen die Niederlande. Eine Niederlassung in Den Haag wurde ihnen nun von den deutschen Besatzern verweigert, der dorthin gesandte Möbelwagen erhielt keine Genehmigung für eine Weiterfahrt in eine andere Stadt – auf diese Weise wurde Gerta und Betty Warburg auch der Rest ihres Hausstandes geraubt.
Ob ihr Umzugsgut ins Deutsche Reich zurücktransportiert und dort zugunsten des NS-Staates versteigert wurde, ist nicht belegt, aber durchaus möglich. Im niederländischen Arnheim lebten sie in einer möblierten 2-Zimmer-Wohnung, Freunde halfen ihnen mit Lebensmitteln und Heizmaterial, da Juden in den öffentlichen Geschäften nichts mehr kaufen durften. Auch in den Niederlanden setzten die deutschen Nationalsozialisten systematisch ihre antijüdischen Maßnahmen fort. Wer sich den Vorschriften nicht durch Flucht in Verstecke entzog, war den deutschen Besatzern recht- und mittellos ausgeliefert. Vermutlich im Frühjahr 1943 wurden Gerta und Betty Warburg verhaftet und im Arnheimer Schulgebäude eingesperrt. Von dort wurden sie in das Durchgangslager Westerbork eingewiesen. Am 6. und 13. April 1943 brachten von dort Züge internierte Jüdinnen und Juden ins Vernichtungslager Sobibor, darunter vermutlich auch Betty Warburg und ihre Mutter. Die Ankömmlinge wurden in Sobibor mit Gas ermordet. Das Amtsgericht Hamburg erklärte Betty Warburg 1949 auf den 16. April 1943 für tot.
Ihre Schwester Helene "Ellen" Burchard geb. Warburg, die 1905 vor der Heirat mit dem Juristen Dr. Edgar Burchard in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen zum evangelischen Glauben übergetreten war, wurde am 11. Juli 1942 von Hamburg-Altona (Papagoyenstraße) aus ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie mit Gas ermordet wurde. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt. Ihr Ehemann Edgar Burchard (geb. 6.7.1879 in Breslau) nahm sich vor der Deportation mit Veronal-Tabletten das Leben, er starb am 10. Juli 1942 im Israelitischen Krankenhaus ( Johnsallee 68).
Ihre Schwester Ada Martienssen geb. Warburg wurde nach Theresienstadt deportiert; sie überlebte den Holocaust.
Die Cousine Maria Warburg (geb. 6.9.2896 in Altona), Tochter des Juristen (Salomon) Siegfried Warburg (1852-1934) wurde am 23. September 1940 aus der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn in die Tötungsanstalt Brandenburg deportiert.
Die Grabstelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof wurde nach 1945 vom Hamburger Zweig der Warburgs erhalten; eingearbeitet wurden darin die Namen und Daten der Holocaust-Opfer der Familie.
Text: Björn Eggert
Quellen:
1 (Kultussteuerkartei); 4 (Hamburger Gedenkbuch); StaHH 332-5 (Geburts-Register), Standesamt Altona I, Signatur 6198 u. 2708/1877 (Helene Warburg), Signatur 6203 u. 2573/1878 (Ada Warburg), Signatur 6218 u. 2656/1881 (Betty Warburg); StaHH 332-8 (Alphabetische Meldekartei der Stadt Altona, 1892-1919), K 7129 (Albert Warburg, Pius Warburg, Siegfried Warburg, John Warburg); Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1920, 1931, 1939 (Betty Warburg); Amtliche Fernsprechbücher Hamburg, Anhang Altona 1914, 1920 (Albert Warburg); Gertrud Wenzel-Burchard, Granny: Gerta Warburg und die Ihren, Hamburg 1970; Ron Chernow, Die Warburgs - Odyssee einer Familie, 1993, S.607; Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S.414/415 (Betty Warburg); Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg – Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S.165 (Dr. Rudolf Warburg), S.172 (Dr. Salomon/Siegfried Warburg); Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hg.), Das Jüdische Hamburg, Hamburg 2006, S.273/274 (Pius Warburg); Ingo Böhle, "Juden können nicht Mitglieder der Kasse sein", Hamburg 2003, S.28-30 (Nachdruck der "Ausschlussliste" von 1934); www.joodsmonument.nl (eingesehen am 13.5.2009); Adressbuch Altona 1929 ( Palmaille); Paul Theodor Hoffmann, Neues Altona 1919-1929, Zehn Jahre Aufbau einer deutschen Großstadt, Jena 1929, S.240-244 (Familie Warburg); Hamburger Abendblatt, Schicksale an der Palmaille, VI – Die Zeit der Warburgs, 18. März 1965; Ursula Hinnenberg, Die Kehille – Geschichte und Geschichten der Altonaer jüdischen Gemeinde, Hamburg 1996, S. 194, 195, 211; www.jewishencyclopedia.com (Warburg); wikipedia Familie Warburg (eingesehen am 13.5.2009); www.springerlink.com (Artikel Klinische Wochenschrift, 1923); Martin Gilbert, Endlösung – Die Vertreibung und Vernichtung der Juden – Ein Atlas, Reinbek bei Hamburg 1982, S.157; Deutsche Nationalbibliothek, Online-Katalog: Betty Warburg; Friedhof Ohlsdorf, Grabprotokoll No. 100996 (Lage R 26, Nr.109-116); Ernst Barlach, Stiftung Güstrow, bearbeitet von Elisabeth Laur, Ernst Barlach – Das plastische Werk, 2006, S.167/ 168 (Nr. 309, Grabmal Warburg).
 

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