Hamburger Frauenbiografien
Gerda Gmelin
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Lieber Vati!
Seit Langem habe ich vor Dir zu schreiben, aber es fehlt mir wirklich die Zeit, ich muss mich auch jetzt kurz fassen. Aber ich habe das Gefühl, als müsste ich doch noch etwas von mir hören lassen, trotzdem ich von Dir gar nichts mehr höre, höchstens mal von der Aussenwelt, aber es ist anzunehmen, dass es Dir gut geht.
Wenn ich es äusserlich nehme, kann ich von mir dasselbe behaupten. Aber wenn ich Dir schreibe was ich im Moment tue, wirst Du wirklich staunen. Ich fungiere seit 8 Wochen als Bardame, und zwar in einem der verrufensten Lokale von Koblenz. Es verkehrt bei mir zum grössten Teil die Unterwelt u. Leute, die Geld haben zum bummeln.
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Mein Mann [Leo Masuth] (…) hat eine Gage von 250 M u. so habe ich von ihm auch für die Kinder kaum etwas zu erwarten, aber so lange ich es schaffe, ist es mir ebenso recht, wenn ich sie selber durchbringen kann. Verzweiflung u. Träumereien gibt es jetzt nicht mehr. Z. zt. geht es mir um’s Verdienen. Ich denke bewusst nicht mehr an irgendwelche Ideale, denn sowie ich diesen Gedanken nachgehe, habe ich keine Energie mehr u. es muss ja weitergehen. Es wird schon einmal der Tag kommen, wo man wieder sich selbst leben kann.
Ich muss dankbar sein, dass ich nach all den Ereignissen noch die Kraft habe, auf diese nervenaufreibende Art mein Geld verdienen zu können. Einen besonderen Verehrer habe ich hier in einem älteren Herrn, der früher Sänger u. Theaterhase war, er kennt Stiebner u. die Laja sicher gut von Berlin, u. hat soviel Ähnlichkeit mit Dir, ein netter Komödiant u. Bohèmiens geblieben, trotzdem er jetzt in der Industrie ist. Es ist sehr gut, dass ich an ihm einen Halt hab‘, er ist vielleicht nur ein paar Jahre jünger wie Du u. besorgt u. grosszügig zu mir.
Im Laufe der nächsten Zeit werde ich es wohl auch zu einer Wohnung bringen u. die Kinder zu mir nehmen können, u. diesen Winter muss ich durchhalten, bis zur nächsten Saison, vielleicht gibt’s dann ein Engagement.
Nun schreib‘ mir doch endlich auch einmal. Ich hätte schon so oft Gelegenheit gehabt mit Geschäftsleuten nach Hambg. fahren zu können, aber wenn ich ein paar Tage aussetze, verliere ich zuviel. Also schreib‘ endlich mal. Es ist doch zu traurig, wenn wir so auseinanderkommen. (…)
Es grüsst u. küsst Dich herzlich Dein Gerdachen [1]
Der Name Gerda Gmelins und ihre Person sind untrennbar mit dem Theater im Zimmer in Hamburg verbunden. Die Gründung des kleinen Theaters geht auf ihren Vater Helmuth Gmelin zurück. Er eröffnete das Theater am 24. März 1948 in seiner Wohnung an der Alsterchaussee 5 und verwirklichte damit seine lang gehegte Idee, ein „Theater ohne Vorhang und Rampe“ zu gründen - in einer zwanglosen, privaten Umgebung, im direkten Kontakt zu den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Brief Helmuth Gmelins an seine Tochter Gerda, Hamburg Sonnabend 23. Februar 1952
Mein liebes, gutes Gerdalein!
Der verfluchte Hetzvater dankt Dir mal wieder für alle Deine lieben Briefchen und besonders für den letzten, woraus ich wieder ersehe, wie tapfer Du Dich durchschlägst durch Dein schweres Leben.
Ich fände es für unsere Beziehung sehr, sehr schön, wenn Du mit den Enkeln i. Lüneburg landen würdest u. habe darum gleich meine Fühler bei Arnemann ausgestreckt. (…) Arnemann wird, ohne daß Deine Sache berührt wird, dieser Tage bei Schmidt vortasten, wen er für die nächste Spielzeit wieder engagieren will u. meint daß es im Falle Masuth so sein wird. Ich schreibe Dir sofort, wenn ich es weiß. Feste Verträge laufen allerdings nur für eine 6 Monate Spielzeit, woraus sich aber nachher meistens noch 1-2 Monate Vor od. Nachspielzeit ergibt. Ich würde an deiner Stelle mich noch nicht selbst bewerben. Da könnte Schmidt stutzig werden wegen Doppelengagement u.s.w. So was mögen die Intendanten im allgemeinen nicht gerne. Aber nach Arnemanns Beschreibung fehlt i. so einem kleinen Ensemble oft eine Kraft so daß dann doch gute Aussicht besteht, daß Du für ein Stück geholt wirst.
Vor allem aber wäre es, wenn Du so nahe bei Hamburg stationiert bist, für mich viel eher möglich, Dich auch mal bei mir auszuprobieren. Ich kenne Dich ja garnicht mehr in deiner Schauspielerei u. würde mich riesig freuen, wenn es mal klappte. (…) Ganz davon abgesehen, freue ich mich auch so, wenn ich Dich u. die Jungens öfters mal zu Besuch haben könnte. (…)
Ich lebe z.Z. in sehr gemischter Stimmung. Mein Theater hat schöne Erfolge, die ich aber innerlich garnicht so als echten Erfolg sehe, da sie meinem Wesen nicht entsprechen. Aber seit ungefähr 1 Jahr habe ich i.d. Presse immer dann Ablehnung, wenn ich selbst etwas inszeniere od. spreche. Es ist schwer darüber hinwegzusehen – trotzdem die Zeitungsleute ja nicht immer u. in allem recht haben. Der Ärger ist nicht gekränkte Eitelkeit, sondern die Tatsache, daß man sich mit dem, was man eigentlich will, nicht durchsetzt. – Nun, es muß durchgestanden werden. Jedenfalls wird ab 6. März angefangen mit dem Umbau des neuen Hauses und wenn Gott will steht es Mitte Mai zum Besprechen frei.
Herzliche Grüße von allen.
Sei innigst umarmt vom bösen Vati.
Vielen Dank für Christians schönen Brief. Küsse ihn u. Mathias vom Opa.“ [1]
Im März 1955 - das Theater im Zimmer hatte inzwischen sein neues Domizil in der Alsterchaussee 30 bezogen - holte Helmuth Gmelin seine Tochter mit ihren beiden Söhnen an sein Theater. Gerda Gmelin war inzwischen Schauspielerin geworden und hatte ein Engagement an einer Wanderbühne in Neuwied. Sie war verheiratet mit dem Schauspieler Leo Masuth, dessen Namen sie nach der Scheidung 1958 ablegte, um wieder ihren Geburtsnamen anzunehmen. In Hamburg wohnte Gerda Gmelin mit ihren beiden Söhnen über dem Theater in den Garderoben. Der ältere Sohn Christian kam bald auf ein Internat, Matthias, der Jüngere, blieb in Hamburg und schlief hinter einem Paravent. Auch Gerda Gmelin lebte sehr beschränkt. Der Begriff des Wohnens konnte hierfür kaum angewendet werden. Gerda Gmelin lernte den Theaterbetrieb in allen seinen Facetten kennen und musste auch alles, was zum reibungslosen Ablauf dazugehörte, mitmachen. So äußerte sie sich einmal dazu: „Schauspielerin war ich zu aller-, allerletzt, zu 99 Prozent war ich halt Regieassistentin, Requisiteuse, Souffleuse, Tonmeister, Inspizientin - alles, was es so gab.“ Ihre ersten kleinen Rollen bekam sie nach Vater Helmuths Motto: „Och, das kann Gerdachen spielen, die ist ja sowieso da.“ Zehn Jahre arbeitete Gerda Gmelin unter diesen aufgezeigten Bedingungen rund um die Uhr. Sie betonte, dass sie weder von großen Rollen noch von Regieführung träumte. Sie fühlte sich wohl in der Verantwortung für einzelne Bereiche, freute sich, guten Regisseuren zu assistieren, war weit entfernt von dem Gedanken, das Theater eines Tages selbst zu leiten. Allmählich veränderte sich die Sicht Helmuth Gmelins auf das schauspielerische Talent seiner Tochter. Gerda Gmelin bekam größere Rollen und wurde von den Assistenz- und Inspizienzaufgaben befreit. Nach dem plötzlichen Weggang einer engen Mitarbeiterin übte sie sich nun in ersten Engagements. In diese Zeit fiel eine schwere Erkrankung Helmuth Gmelins, die 1959 zu seinem Tode führte. Von dieser Zeit an begann für Gerda Gmelin ein neuer Lebensabschnitt.
![](https://www.lzpb-hamburg.de/hamburgde/bilder/3141_gerda-gmelin-wohnung.jpg)
Text: Christian Masuth (†), Sohn von Gerda Gmelin
Quellen:
Briefe in Privatbesitz.
Briefe in Privatbesitz.