Hamburger Frauenbiografien
Marie Thierfeldt
![](https://www.lzpb-hamburg.de/hamburgde/bilder/3083_Thierfeldt_marie.jpg)
„Gropius vermittelte mir das Gefühl für den Raum, Kandinsky die Fläche, Klee die Farbe“, erzählte sie später. (Heinrich Scharienorth: Sie schuf einen Wandteppich für die Hamburgische Staatsoper. Besuch bei der ostpreußischen Webmeisterin Maria Thierfeldt – das ‚Mischen’ der Farben ist eine Kunst. In: Das Ostpreußenblatt vom 22.3.1969.)
Nach dem Studium „ging Marie Thierfeldt nach Ostpreußen zurück, wo sie in Insterburg eine Weberei übernahm. Der damalige Landrat Overwerg hatte sie eingerichtet, um die Not nach dem Russeneinfall zu lindern. ‚Vom einfachen Flickerteppich bis zum anspruchsvollen Wandbehang wurde einfach alles gewebt, aber nur aus reinem Material’, erinnerte sich die Weberin. Und bald klapperten zwölf Webstühle in der Werkstatt.
1930 legte Marie Thierfeldt als erste Webmeisterin Ostpreußens ihre Meisterprüfung ab. In einem humorvollen Trinkspruch wurde ihr in der nachfolgenden Feierstunde bekundet: ‚Nach vierzig Jahren der erste Prüfling – und dazu noch ein Fräulein.’“ (Erinnerung an die Webmeisterin Marie Thierfeldt. In: Das Ostpreußenblatt 1998. www.webarchiv-server.de/pin/archiv98/607o98.htm. Stand: 12.3.2011.)
1927 wurde sie als außerordentliche Lehrerin an der Königsberger Kunstakademie berufen, wo sie bis 1933 tätig war. „’Nachdem ich Dozentin war, bin ich doch auch ein wenig Lehrmeisterin geworden’, (…). Einige nüchterne Zahlen mögen diese Aussage unterstreichen. Aus der Werkstatt Marie Thierfeldts gingen nach dem Krieg sieben Landes- und drei Bundessieger hervor.“ (ebenda.)
1941 ließen die nationalsozialistischen Behörden die Werkstatt schließen. Marie Thierfeldt wurde dienstverpflichtet. Silvester 1944 floh sie nach Schleswig-Holstein, wo sie als Jute-Weberin ihren Lebensunterhalt verdiente. Später übernahm sie in Ahrensburg eine kleine Weberei. 1949 begann sie in einem Hamburger Keller mit geliehenen Webstühlen mit einem selbstständigen Betrieb. Ein Jahr später schon zog sie an den Mittelweg 145, wo sie im Hinterhof eine Werkstatt errichtete. Dort standen drei große Webrahmen. Ein Webrahmen erlaubte sogar Spannbreiten bis zu drei Metern. Über ein Holztreppchen ging es zur Wohnwerkstatt. Auch hier standen Spinnräder und ein Webstuhl. Die Wohnung teilte sie sich mit ihrer älteren Schwester Lina Bartschat (26.7.1888 - 2.10.1970), die den Haushalt führte und auch die Angestellten – eine Weberin und zwei Lehrlinge – bekochte. (ebenda.)
Marie Thierfeldt beschäftigte sich vor allem mit der Mischung und Abstufung der Materialfarben. Für einen Teppich in der St.-Petri-Kirche in Hamburg verwendete sie die Farbe Rot in 40 Varianten.
Das „Mischen der Farben (..) ist die eigentliche Kunst in der Weberei. Mit den Grundtönen der sorgfältig ausgewählten, zum Teil aus Frankreich und der Schweiz herangeholten Wolle begnügt sich die Künstlerin nicht. Sie dreht verschiedenfarbige Wollzwirne zusammen, mischt Leinenstreifen, Seiden- und sogar Goldfäden unter das Webmaterial.“ (Ebenda)
Ihre Arbeiten waren und sind in vielen öffentlichen Gebäuden und Museen zu finden, so im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Sie stellte u. a. Wandteppiche für das Gemeindehaus Langenhorn, das Gemeindehaus Geesthacht, den Sitzungsraum der Großmarkthalle und für die Deutsche Botschaft in Stockholm her. Für die Hamburgische Staatsoper schuf sie den Wandteppich „Petruschka“, der heute im Ballettzentrum hängt. Der künstlerische Entwurf hierzu kam von dem Künstler Peter Boll. „Die zähe Entwicklungsarbeit zwischen dem ersten, noch recht statischen und blässlich wirkenden Klebeentwurf des jungen Hamburger Künstlers Peter Boll zum Petruschka-Teppich und dem lockeren Formenspiel, der leuchtenden, aber harmonischen Farbigkeit der endgültigen Webvorlage nahm mit der Materialbeschaffung vier Jahre in Anspruch. Das Weben des 2,70 Meter hohen und 3,80 Meter breiten, einen Zentner schweren Teppichs selbst dauerte ‚nur’ fünf Monate. Eine Weberin und eine Zuarbeiterin halfen dabei. Sie selbst, erklärt Frau Thierfeldt ihre Arbeit, stehe nur ‚wie eine Hexe dabei und mische die Farben’. (…) Achtundvierzig Farben sind im Teppich enthalten, darunter achtzehn Grüntöne, elf verschiedene Rot- und sieben Blauabstufungen.“ (Heinrich Scharienort, a. a. O.)
Für den Wandteppich, den sie für das Gästehaus der Deutschen Bank herstellte, erhielt sie 1966 den Preis der Hamburger Kulturbehörde.
Text: Dr. Rita Bake