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Eppendorf

Stadtteil Eppendorf in der NS-Zeit

In Eppendorf gewann die NSDAP die Reichstagswahlen am 5. März 1933 mit relativer Mehrheit. Diese Wahl war keine wirklich freie mehr, da die Opposition bereits verfolgt wurde und die sozialdemokratischen Senatoren und der Bürgermeister Carl Petersen zurückgetreten waren.

Bild: Ergebnisse der Reichstagswahl 1933 in Eppendorfer. Digramm RTWahl32-33Eppendorf.pdf öffnen
(Die Grafik zeigt auch die Ergebnisse der Wahlen am 31. Juli bzw. am 6. November 1932. Die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot hatte sich aus der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und dem ihr nahestehenden Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten gebildet.)

KPD-Führer Ernst Thälmann wurde bereits am 3. März 1933 verhaftet. Er blieb elf Jahre ohne Gerichtsurteil in Haft, bevor er 1944 im KZ Buchenwald ermordet wurde. Eppendorfer KPD-Mitglieder bauten im Untergrund Netze auf, die die Anweisungen der Parteileitung und Propagandamaterial weitergaben. Die Verteilerstellen befanden sich in der Hoheluftchaussee , der Tarpenbekstraße und der Erikastraße . Auf Handabzugsgeräten wurde in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme fast täglich ein „Pressedienst“ in einer Auflage von 160 Stück und wöchentlich oder vierzehntäglich „Informations- und Instruktionsblätter“ mit Texten aus ausländischen Zeitungen und Schriften des Zentralkomitees erstellt, in denen zum Massenwiderstand gegen Hitler aufgerufen wurde. Kuriere holten diese jeweils 420 Exemplare ab und verteilten sie in anderen Stadtteilen. 29 Frauen und Männer dieser kommunistischen Widerstandsgruppe wurden im September 1934 verhaftet. Gesinnungsgenossen, elf Frauen und Männer, die vorwiegend in der Gegend um die Kegelhofstraße wohnten, brachten noch bis Ende 1934 die illegale „Hamburger Volkszeitung“ unter die Parteimitglieder. Doch zahlreiche Festnahmen zerstörten diese Netzwerke, die immer wieder neu, meist in Dreiergruppen gegliedert, aufgebaut werden mussten. 1935 stellte die KPD fest, dass ihr Konzept des Massenwiderstands gegen das NS-Regime gescheitert war und die NSDAP inzwischen über eine breite Basis in der Bevölkerung verfügte. Zusammen mit den Sozialdemokraten sollte nun eine Einheitsfront geschaffen werden, und Kommunisten wurden aufgerufen, in nationalsozialistische Organisationen und Betriebe einzutreten, um sie von innen zu zersetzen.[1]

Für beide Strategien war es allerdings zu spät.

Auch auf sozialdemokratischer Seite organisierten sich Widerstandsgruppen in den Distrikten und Ortsgruppen, da die führenden Parteimitglieder unter besonderer Beobachtung standen.

Robert Finnern übernahm nach einer fünfwöchigen „Schutzhaft“ die Leitung des Distrikts Eppendorf-Winterhude. Er wählte zuverlässige Männer und Frauen aus, die die Verbindung unter den Genossinnen und Genossen aufrechterhalten und Propagandamaterial verteilen sollten. Der Prager Exilvorstand der SPD „SOPADE“ gründete in Deutschland benachbarten Ländern (Dänemark, Tschechoslowakei) Grenzsekretariate, die illegale Schriften wie den „Neuen Vorwärts“ und die „Sozialistische Aktion“ durch Kuriere nach Deutschland schleusten. Hamburg stand mit dem Sekretariat in Kopenhagen in Verbindung, das von Richard Hansen, einem ehemaligen SPD-Parteisekretär aus Kiel, geleitet wurde.

Die „Roten Blätter“ stellte eine Hamburger Nachrichtengruppe zusammen. Sie enthielten Informationen aus Hamburg und dem Reich, sowie Ausschnitte aus ausländischen Zeitungen. Die wöchentlich erscheinenden Blätter wurden in einer Auflage von drei- bis viertausend Exemplaren an mehreren Stellen abgezogen. Ziel dieser Veröffentlichungen war es, die Bevölkerung über den Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft aufzuklären und eine breite Basis zur Änderung der Verhältnisse zu schaffen.[2] Aktionen, wie die Demonstration am Himmelfahrtstag 1934, als sich ein Jahr nach dem Tod des Hamburger Reichstagsabgeordneten Adolf Biedermann 3.000–4.000 Personen auf dem Ohlsdorfer Friedhof versammelten, sollten der Öffentlichkeit zeigen, dass die Sozialdemokratie noch existierte. Eine der letzten Aktionen war die Nein-Aktion am 19. August 1934 anlässlich der Volksbefragung. Abgestimmt wurde, ob das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinigt und damit alle Macht auf Hitler übertragen werden sollte. Am Wahltag steckten Nein-Zettel in Briefkästen und Telefonbüchern und klebten sogar am Hamburger Rathaus. Im Herbst 1934 setzte eine Verhaftungswelle ein, der führende Köpfe des sozialdemokratischen Widerstands und zahlreiche Distriktsorganisationen zum Opfer fielen. Der erneute Aufbau des Widerstands war unter dem Terrorapparat des NS-Regimes, das sich zunehmend stabilisierte, kaum möglich.

Der organisierte sozialdemokratische Widerstand war in Eppendorf – wie auch in Hamburg insgesamt – 1937/38 durch Verhaftungen und die geringe Aussicht auf Veränderung gebrochen. [3]

 Hier wird deutlich, dass im Norden des Stadtteils, links und rechts der Tarpenbekstraße , die SPD auch 1933 noch die stärkste Partei war, dicht gefolgt von der KPD. In der „roten Hochburg“ des Eppendorfer Nordens, der Arbeitergegend zwischen Tarpenbekstraße und Lokstedter Weg hatte der Eppendorfer „NSDAP-Sektionsleiter für politische Propaganda“ noch 1931 um SA-Schutz für seine Flugblattverteiler gebeten, denn „in diesen Straßen wohnt das kommunistische Gesindel, das sofort in größeren Rudeln zur Stelle ist, wenn wir uns sehen lassen“. [4]

Eine „rote Insel“ bildeten auch die Terrassen des Falkenried s. Hier entfiel über die Hälfte der Stimmen auf die Arbeiterparteien. Dort wurde der Hitlerjunge Otto Blöcker am 26. Februar 1933 vor dem SA-Lokal „Falkenburg“ bei einem Schusswechsel mit Kommunisten getötet, Anlass für die Umbenennung der Straße Falkenried nach diesem „Märtyrer der Bewegung“, dessen Namen später auch eine NSDAP-Ortsgruppe, HJ-Gruppen und ab Februar 1935 sogar ein Alsterdampfer der Hamburger Hochbahn erhielten. [5]

Der KPD-Funktionär Fiete Schulze wurde wegen Anstiftung zu dieser Tat zum Tode verurteilt. Otto Blöckers Mutter Helene, die eine Blumenhandlung im Stadtteil Eppendorf betrieb, gehörte zu denen, die von der NSDAP bevorzugt mit öffentlichen Aufträgen bedacht wurden, weil sie vor 1933 wirtschaftliche Einbußen erlitten habe. [6]

Hatten sich in den Arbeiterwohngebieten Widerstandsgruppen gebildet, so konnten die Nationalsozialisten rund um den Eppendorfer Marktplatz auf breite Unterstützung rechnen. Hier, in der bürgerlichen Wohngegend, war die NSDAP mit Abstand die stärkste Partei.

 

Das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) – Ärztinnen und Ärzte zwischen Anpassung, Widerstand und Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes

Als 1933/34 nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ politisch missliebige und jüdische Beamtinnen und Beamte – später auch Angestellte und Arbeiterinnen und Arbeiter – entlassen wurden, traf dies auch sechzehn „nichtarische“ Professoren des UKE. Proteste ihrer Kollegen und der Studierenden blieben aus. Vor 1933 hatte es im Lehrkörper kaum NSDAP-Mitglieder gegeben. Die Professoren, Dozenten und Ärzte waren jedoch in der Mehrzahl konservativ. Im Laufe des Jahres 1933 traten 30 der insgesamt 89 Hochschullehrer der NSDAP bei, und im Sommersemester 1934 gehörte bereits die Hälfte zu den „Pg.s“, den NSDAP-Parteigenossen. Vermutlich erhofften sie bessere Aufstiegschancen nach der Relegation jüdischer Kollegen. [7]

Die Zahl jüdischer Studentinnen und Studenten war 1933 durch einen Numerus Clausus begrenzt worden. Im Wintersemester 1933/34 studierten noch achtzehn „Nichtarier“ Medizin, im Sommersemester 1938 nur noch drei. Sie waren massiven Schikanen ausgesetzt, mussten im Seminar abseits sitzen, eigene Gruppen bei Prüfungen bilden und durften nur noch in Jüdischen Krankenhäusern Praktika ableisten. Ab April 1938 wurden alle Juden vom Studium ausgeschlossen.

Jüdische Patientinnen und Patienten durften ab 1936 nicht mehr im UKE behandelt werden. Sie wurden auf das Israelitische Krankenhaus verwiesen, das aber weder für schwere Fälle noch für Notfälle ausgerüstet war. Obwohl sich die Frauenklinik und die Chirurgie 1938 bereit erklärten, in Notfällen auszuhelfen, lehnten die zuständigen Behörden dies ab, weil es mit den dienstlichen Pflichten des UKE nicht vereinbar sei.

Außer den jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden auch politische Gegner des NS-Regimes aus der medizinischen Fakultät verwiesen. Die wenigen organisierten linken Medizinstudierenden wurden schon in den Semesterferien 1933 von der Universität verjagt. Ein Betroffener: „In den Semesterferien wurden wir vorgeladen – da gab es schon einen Nazi-ASTA – und bedroht, wir sollten uns gar nicht mehr auf der Universität sehen lassen, sonst würde was passieren. Wir wurden einzeln vorgeladen und von einem Nazi belehrt.“ [8] Auch beim Pflegepersonal, in der Verwaltung und unter den Arbeiterinnen und Arbeitern des UKE erfolgten Entlassungen aus politischen Gründen.

Dennoch galt das UKE der Gestapo als eine Brutstätte der Staatsfeindlichkeit. Widerstand organisierten aber in der Regel nur Einzelpersonen, die sich in kleinen Gesprächskreisen trafen. Ein Fokus oppositionell eingestellter Ärzte, Ärztinnen und Medizinstudierender war die Kinderklinik unter Professor Rudolf Degkwitz, ein anderer die Chirurgische Klinik. Hier fanden sich auch diejenigen zusammen, die später als Hamburger Zweig der „Weißen Rose“ bezeichnet wurden. [9]

Margaretha Rothe verteilte schon in den ersten Kriegsjahren zusammen mit ihrem Freund Heinz Kucharski Flugblätter in Telefonzellen und auf Bahnhöfen. Gegen Ende des Jahres 1942 schlossen sich Albert Suhr und Traute Lafrenz an, die während ihrer Studienzeit in München Hans Scholl kennengelernt hatte.

Rudolf Degkwitz hatte noch Anfang der 1920er Jahre der NSDAP angehört, distanzierte sich einige Jahre später jedoch von der Partei und kritisierte diese auch nach 1933. Die Gestapo sammelte belastendes Material über ihn. Aber erst im September 1943 wurde er verhaftet und vor den Volksgerichtshof gestellt. Seine Entdeckung der Masernprophylaxe, mit der er „40.000 deutschen Kindern“ das Leben gerettet hatte, bewahrte ihn vermutlich vor dem Todesurteil. [10]

Wahrscheinlich war es auch Rudolf Degkwitz, der verhinderte, dass die Kinderklinik im UKE eine sogenannte Kinderfachabteilung wurde, in der körperlich und geistig behinderte Kinder getötet werden sollten. Solche „Fachabteilungen“ bestanden im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort und in der Heil- und Pflegeantalt Langenhorn.

Häufig und schnell wandte man dagegen im UKE das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ an. Dazu wurden Krankengeschichten durchgesehen, die sich mit der Behandlung von „Geisteskrankheiten“, „Schwachsinn“, Blindheit, Taubheit, Nervenleiden, Tuberkulose, körperlichen Missbildungen sowie Alkoholismus befassten. Auch Fürsorgeakten dienten als Quelle, um „Verwahrloste“, wozu Wanderer und Prostituierte zählten, ausfindig zu machen. Zwischen 1934 und 1945 wurden in Hamburg etwa 16.000 Zwangssterilisationen durchgeführt. [11]

Die Nervenkliniken, die Frauenklinik und die Orthopädie meldeten die betroffenen Patientinnen und Patienten beim Hauptgesundheitsamt bzw. beim Erbgesundheitsgericht. An direkten Tötungsaktionen von Psychiatriepatienten war das UKE nicht beteiligt, weil es als Klinik der „Hansischen Universität“ nur die „heilbaren Kranken“ behandelte. Langzeitpatienten wurden in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt und von dort, wenn sie von der Berliner Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße Nr. 4 ausgewählt worden waren, mit der sogenannten Aktion T 4 in Tötungsanstalten verlegt. [12]

 

Die NSDAP in Eppendorf

Nach 1933 teilte die NSDAP den „Kreis Eppendorf“ in Ortsgruppen und diese wiederum in Sektionen ein, die in den ersten Jahren nach 1933 Namen trugen wie Verdun, Falkland, Tannenberg und Lüttich. Ihre Geschäftsstellen befanden sich in der Erikastraße 100, der Eppendorfer Landstraße 39 und 59 und der Ludolfstraße 6. Ab August 1933 erschien monatlich „Die braune Wacht“, das Mitteilungsblatt der NSDAP Eppendorf. Dort wurden neben enthusiastischen Artikeln über die „siegreiche Partei“, den idealen Parteigenossen etc. auch Veranstaltungen angekündigt, für Eppendorfer Geschäfte geworben und Hetzartikel gegen Jüdinnen und Juden veröffentlicht. 1935 lösten die „Gaunachrichten“ die „Braune Wacht“ ab, in denen neben einem Abschnitt für ganz Hamburg Nachrichten für die einzelnen Kreise erschienen, die die NSDAP 1935 reorganisiert hatte. Jetzt existierte neben den Orts­gruppen Eppendorf Nord, Mitte, Süd und Ost auch eine Otto-Blöcker Ortsgruppe im Eppendorfer Weg 211 und eine namens Falkenburg in der Curschmannstraße 9. In Eppendorf gehörten – wie andernorts auch – ca. 10% der Bevölkerung der NSDAP an, d. h., zwischen 1933 und 1945 traten zwischen 8.000 und 9.000 Bewohner, vorwiegend Männer, in die Partei ein. Auch in Eppendorf folgten Tausende – wie überall in Hamburg – Aufrufen zu Kundgebungen, Einladungen zu Aufführungen, Kinderfesten oder Mutterkreuzverleihungen.

Aber nicht nur ein Netz von NSDAP-Geschäftsstellen überspannte den Stadtteil, zunehmend stellten die Nationalsozialisten auch Schaukästen der Partei und der Zeitschrift „Stürmer“ auf, in denen vehement gegen die jüdische Bevölkerung gehetzt wurde.

 

Die Eppendorfer Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus

1925 lebten in Eppendorf 3.044 Jüdinnen und Juden. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Stadtteils betrug damit 3,54%. [13] Teilweise waren sie schon vor 1933 antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. In den Jahren 1933 und 1935, nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze, emigrierten bereits viele jüdische Familien aus Eppendorf. Insbesondere das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, das sexuelle Kontakte zwischen Juden und „Ariern“ verbot, öffnete Denunziationen Tür und Tor. Die dritte große jüdische Fluchtwelle erfolgte nach dem Novemberpogrom 1938.

Im 1937 neu geschaffenen Groß-Hamburg wurden viele Straßen und Plätze umbenannt, um Verwirrungen durch die doppelte Verwendung von Namen zu vermeiden. Im Zuge dieser Aktion löschten die Nationalsozialisten gezielt sämtliche jüdischen Straßennamen aus. In Eppendorf betraf dies zwei Straßen: Die Unnastraße , benannt nach dem Arzt Paul Gerson Unna, hieß nun Hans-Much-Weg nach einem Arzt, der ebenfalls im UKE tätig gewesen war. Aus der Gabriel-Rießer-Straße wurde die Lichtwarkstraße , benannt nach dem ersten Direktor der Hamburger Kunsthalle. Gabriel Rießer war 1860 in Hamburg der erste deutsche Richter jüdischen Glaubens, nachdem er zuvor Abgeordneter in der Frankfurter Paulskirche und Bürgerschaftsmitglied in Hamburg geworden war.

Eine Vielzahl antijüdischer Bestimmungen schränkten das Leben und die wirtschaftliche Existenz der Jüdinnen und Juden immer weiter ein. Sie zwangen jüdische Geschäftsleute zur Aufgabe ihres Gewerbes oder Unternehmens und zum Verkauf an „arische“ Nachfolger. Jüdinnen und Juden mussten ihr Vermögen anmelden und durften selbst monatlich nur über einen geringen Teil davon verfügen.

Am 28. Oktober 1938 deportierte die Gestapo in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit an die polnische Grenze, auch die 22-jährige Bertha Hofmann gehörte zu diesen ca. 1.000 Menschen aus Hamburg. Beim Pogrom am 9./10. November desselben Jahres verhaftete die Gestapo ca. 800–1.000 jüdische Männer in Hamburg, die im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel zusammengepfercht und danach in das KZ Sachsenhausen verschleppt wurden, darunter etliche aus Eppendorf wie Alfred Aron, Roland Behrend, Marcus Braunschweiger und Fritz Neuburger.

Für Viele war der Novemberpogrom der letzte Anstoß zur Flucht aus Deutschland. Hatten sie sämtliche bürokratischen Hürden überwunden, plünderte der NS-Staat sie finanziell aus, so dass sie Deutschland in der Regel bettelarm verließen.

Nicht immer gelang die Emigration der ganzen Familie, dann sollten wenigstens die Kinder gerettet werden. So berichtete Ruth Hingston, die Tochter von Emmy und Wilhelm Frank: „Auf Grund der Kristallnacht entschied mein Vater endlich, die Familie auswandern zu lassen. Aber das war nicht leicht. Als einzige Möglichkeit für mich bot sich die Verschickung mit einem Kindertransport nach England. Zuerst sollte es zwar Holland sein, aber dann ließ Vater mich nach England umschreiben, um den Ärmelkanal zwischen seine Tochter und Deutschland zu legen, und so hat er mir das Leben gerettet. Ich fuhr am 30. März 1939 vom Hauptbahnhof ab, mit fünf englischen Schillingen in der Tasche und einem Koffer, den ich allein tragen konnte. Das war alles was man uns erlaubte.“ [14]

Selbst der Schmuck musste abgeliefert werden. Käthe Meyerhof bat, wenigstens einen Ring als Andenken an ihren Vater behalten zu dürfen, da er keinen großen materiellen Wert habe, aber auch das wurde abgelehnt.

Als im Mai 1939 eine Volkszählung stattfand, hatten Juden sogenannte Ergänzungskarten auszufüllen. Nach diesem Zensus lebten in Eppendorf insgesamt 1.462 Jüdinnen und Juden, sowie 360 jüdische „Mischlinge ersten Grades“ und 224 „Mischlinge zweiten Grades“. [15]

Immer neue Verordnungen trieben die jüdische Bevölkerung in noch größere Armut, die mit fortschreitender Ausgrenzung einherging: Unter anderem mussten sie die Zwangsnamen „Sara“ und „Israel“ annehmen, der Mieterschutz wurde im April 1939 aufgehoben. Für viele Jüdinnen und Juden bedeutete dies, ihre Hausgemeinschaften mit nichtjüdischen Nachbarn zu verlassen und sich selbst oder über den Jüdischen Religionsverband, wie die Jüdische Gemeinde inzwischen hieß, Wohnungen oder Zimmer bei jüdischen Vermietern bzw. in jüdischen Stiftshäusern zu suchen oder zuweisen zu lassen. Da es in der Eppendorfer Landstraße und Umgebung viele Häuser mit großen Wohnungen gab, zogen immer mehr Familien zur Untermiete ein. Auch Jüdinnen und Juden aus ländlichen Gegenden, die sich in der anonymeren Großstadt mehr Schutz erhofften, mieteten sich dort ein bzw. wurden vom Religionsverband einquartiert. Auf diese Weise entstanden die sogenannten Judenhäuser, von denen es in Hamburg etwa achtzig gab. In Eppendorf wurden die Häuser in der Haynstraße 5, 7, 10 zu „Judenhäusern“, ebenso das Haus Lenhartzstraße 3 und das Martin-Brunn-Stift in der Frickestraße 24. Die Bewohnerinnen und Bewohner lebten sehr beengt, meist ohne eigene Möbel und sicherlich in großer Angst vor der Zukunft. [16] Nur Wenigen gelang noch nach Kriegsbeginn die Ausreise.

Von den ersten vier Deportationen, die zwischen dem 25. Oktober und 6. Dezember 1941 Hamburg in Richtung Lodz, Minsk und Riga verließen, waren hauptsächlich Jüdinnen und Juden unter 65 Jahren betroffen. Ab Juli 1942 wurden dann die zurückgestellten älteren Menschen ins „Altersgetto“ Theresienstadt deportiert. Am 11. Juli 1942 ging ein Transport nach Auschwitz, wohin – via Berlin – auch am 21. Februar 1943 eine kleinere Gruppe von 24 Personen deportiert wurde. [17]

Aus Eppendorf wurden zwischen 600 und 650 Jüdinnen und Juden deportiert. [18]

Sie erhielten per Einschreibebrief ihren „Evakuierungsbefehl“ von der Gestapo, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie sich einen Tag vor dem Abtransport im Gebäude der Provinzialloge für Niedersachsen, in der Moorweidenstraße (später auch im Jüdischen Gemeinschaftshaus Hartungstraße ) einfinden sollten. Mitnehmen durften sie 50 Kg Reisegepäck und Proviant für zwei Tage. Ihren Wohnungsschlüssel mussten sie auf dem zuständigen Polizeirevier abgeben. Die Wohnung wurde versiegelt, der Oberfinanzpräsident zog später ihr Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches ein. Das Mobiliar wurde versteigert.

Bis Februar 1945 verließen 20 Züge den Hannoverschen Bahnhof in Hamburg mit den Zielen Lodz, Minsk, Riga, Theresienstadt und Auschwitz. Von den 7.692 Deportierten aus Hamburg überlebten nur wenige. [19] Bei Kriegsende befanden sich kaum 700 Jüdinnen und Juden in der Hansestadt, die meist „geschützt“ durch ihre sogenannte Mischehe überlebt hatten.

Text von Maria Koser, entnommen dem Buch: Maria Koser, Sabine Brunotte: Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf. Biographische Spurensuche. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. 2 Bde. Hamburg 2011.

Anmerkungen
1 Vgl. Andreas Klaus, Gewalt und Widerstand in Hamburg-Nord während der NS-Zeit, Hamburg 1986, S. 59 ff.
2 Vgl. Karl Ditt, Sozialdemokraten im Widerstand, Hamburg in der Anfangsphase des Dritten Reiches, Hamburg 1984, S. 46-93.
3 Vgl. Walter Tormin, Verfolgung und Widerstand von Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten 1933–1945, Ein Überblick, in: SPD Landesorganisation Hamburg, Arbeitskreis Geschichte und Arbeitskreis ehemals verfolgter Sozialdemokraten, Für Freiheit und Demokratie, Hamburg 2003, S. 10 ff.
4 Zitiert nach Werner Skrentny, Knuth Weidlich (Hrsg.), Das Eppendorf-Buch, Hamburg 1991, S. 92.
5 Vgl. Werner Franke, in: Anne-Kathrin Rehm, Stadtteilgeschichte, S. 88.
6 Vgl. Frank Bajohr, Parvenues und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit, Frankfurt/M. 2001, S. 30.
7 Vgl. Hendrik van den Bussche (Hrsg.), Medizinische Wissenschaft im „Dritten Reich“, Kontinuität, Anpassung und Opposition an der Hamburger Medizinischen Fakultät, Hamburger Beiträge zur Wissenschaftgeschichte Bd. 5, Hamburg 1989, S. 35 f.
8 Ebd. S. 36.
9 Vgl. Alfons Kenkmann, Zwischen Tolerierung und Verfolgung – Informelle Zirkel im Hamburger Bürgertum während der NS-Zeit, in: Sybille Baumbach, Uwe Kaminsky, Alfons Kenkmann, Beate Meyer, Rückblenden, Lebensgeschichtliche Interviews mit Verfolgten des NS-Regimes, Forum Zeitgeschichte Bd. 7 (Hrsg.) Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg 1999, S. 358–404, hier S. 361 f, Alfons Kenkmann kommt hier zu dem Schluss, dass der „Hamburger Zweig der Weißen Rose“ nicht als Widerstandsgruppe im engeren Sinne bezeichnet werden kann, da deren Mitglieder die Bezeichnung auf nach 1945 datieren. Er sieht den Hamburger Zweig eher als Konstrukt der Gestapo.
10 Vgl. Angela Bottin, Hendrik van den Bussche, Opposition und Widerstand, in: Medizinische Wissenschaft, S. 399-407.
11 Vgl. Uwe Lohalm, Völkische Wohlfahrtsdiktatur, München/ Hamburg 2010, Uwe Lohalm spricht für Hamburg von 19.000 Sterilisationsverfahren und nahezu 16.000 Sterilisationsbeschlüssen, also tatsächlich durchgeführten Sterilisationen.
12 Vgl. Friedemann Pfäfflin, Herbert Rüb, Matthias Göpfert, Günter Komo, Wilhelm Thiele, Hendrik van den Bussche, Die Krankenversorgung, in: Medizinische Wissenschaft. S. 306 ff.
13 Vgl. Helga Krohn, Die Juden in Hamburg, Die politische, soziale und kulturelle Entwicklung einer jüdischen Großstadtgemeinde nach der Emanzipation 1848-1918, Hamburg 1974, S. 81.
14 Vgl. Ruth Hingston, „Wir sind doch Hanseaten“, in: Charlotte Ueckert-Hilbert, Fremd in der eigenen Stadt. Erinnerungen jüdischer Emigranten aus Hamburg, Hamburg 1989, S. 170 f.
15 Vgl. Bundesarchiv Berlin, R 1509, Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung (Volkszählung v. 17.5.1939), Wohnortliste Hamburg.
16 Vgl. Angela Schwarz, Die Vaterstädtische Stiftung in Hamburg in den Jahren von 1849 bis 1945, „... einen Akt der Gerechtigkeit durch einen Akt der Wohltätigkeit zu verewigen ...“, Schriften zur Sozial- und Wirtschaftgeschichte, Bd. 10, Hamburg 2007.
17 Vgl. Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945, Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Hamburg 2007, S. 74.
18 522-1 Jüdische Gemeinden, 992e2 Bd. 1-Bd.5, Gezählt wurden die Menschen, für die in den Deportationslisten eine Eppendorfer Adresse angegeben wurde. Das kann nur ein ungefährer Wert sein, da sowohl Eppendorfer in andere Stadtteile umziehen mussten, als auch Jüdinnen und Juden aus anderen Stadtteilen in die „Judenhäuser“ nach Eppendorf zogen.
19Vgl. Linde Apel (Hrsg.), In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945, Hamburg 2009, S. 9.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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