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Öffentlicher Dienst im Nationalsozialismus

In seiner Publikation „‚… anständig und aufopferungsbereit‘. Öffentlicher Dienst und Nationalsozialismus in Hamburg 1933 bis 1945“ beschreibt Uwe Lohalm die Mechanismen von Entlassung und Einstellung im öffentlichen Dienst während der NS-Zeit, so auch in der Justiz-, der Schul- und der Finanzbehörde. Im Folgenden soll aus der oben genannten Schrift von Uwe Lohalm zitiert werden, wobei die oben genannten Behörden hier stellvertretend für die Praxis der Einstellung und Entlassung im öffentlichen Dienst während der NS-Zeit steht: „(…) Die Nationalsozialisten, die in Hamburg mit dem 8. März 1933 an die Macht gelangten, beschränkten sich – nach einer kurzen Phase der Machtaneignung, in der vor allem führende politische Gegner und jüdische Bedienstete teils sogar noch vor dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus ihren Stellungen entfernt wurden – darauf, die Schlüsselpositionen zu besetzen und zugleich die große Schar arbeitsloser Parteigänger mittels des öffentlichen Dienstes in Lohn und Brot zu bringen. Im Wesentlichen mussten sie sich indessen aus Mangel an eigenen qualifizierten Kräften weitgehend auf die überkommenen Kader der Beamten und Angestellten stützen. Und diese überdauerten nach dem Krieg auch die Entnazifizierung. In deren Verlauf war es zunächst zu zahlreichen Entlassungen gekommen, die aber in den folgenden Jahren weitgehend rückgängig gemacht wurden, so dass Bürgermeister Max Brauer [1887–1973] erklären konnte: ‚Wir haben bei dem, was in Hamburg bisher geschehen ist, eine liberale, eine faire, eine Behandlung Platz greifen lassen, die wirklich nicht nur ein Auge zugedrückt hat, sondern beide Augen haben wir zugedrückt.‘ (…)

Am 10. Mai 1933 machte der damalige Erste Bürgermeister Carl Vincent Krogmann [1889–1978, siehe Profil] in seiner Regierungserklärung vor der Bürgerschaft die personalpolitische Richtung der Nationalsozialisten deutlich: ‚Der neue Staat kann nur solche Beamte gebrauchen, die bereit sind, im Sinne der Weltanschauung des Volksführers Adolf Hitler [1889–1945] und seiner großen Freiheitsbewegung an der weiteren Durchführung der Erhebung schaffend mitzuwirken. Wer sich zu den Zielen dieser Bewegung nach seiner politischen Vergangenheit oder aus innerer Überzeugung nicht bekennen kann, […] muss aber den Dienst quittieren.‘

Für alle diese Fälle bot dann das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 die gesetzliche Grundlage. Damit wollten die Nationalsozialisten im Reich, in den Ländern und Kommunen den öffentlichen Dienst von ihren aus politischen und rassischen Gründen missliebigen Personen säubern und Platz schaffen für die eigene Klientel und so den öffentlichen Dienst zu ihrem eigenen personalen Herrschaftsinstrument ausbauen. (…)

Die grundsätzliche Tendenz des Berufsbeamtengesetzes – die Ausschaltung von aus politischen und rassischen Gründen unerwünschten Mitarbeitern – wurde berücksichtigt, so dass Kommunisten, aktive Sozialdemokraten, Gewerkschaftler sowie Juden aus den Dienststellen der Behörden auszuscheiden hatten. Jedoch geschah dies, mit Ausnahme der die Juden betreffenden Maßnahmen, keineswegs in einem gleichmäßigen Zugriff. Vielmehr ließ man sich offensichtlich gleichfalls von der Überzeugung leiten, dass bei der Lösung der weiterhin anstehenden großen Aufgaben auf fachlich ausgebildetes und erfahrenes Personal nicht verzichtet werden konnte, so dass manche Position selbst in leitenden Stellungen unangetastet blieb. (…)

Nach der begrenzten Öffnung der Partei für neue Eintritte im Jahre 1937 wies Reichsstatthalter Karl Kaufmann [1900–1969, siehe Profil] die Behördenleiter generell an, die ihnen unterstehenden Beamten und Angestellten aufzufordern, um eine Aufnahme in die Partei nachzusuchen. (…) Der höchste Repräsentant der Justizverwaltung in Hamburg, Curt Rothenberger [1896–1959, siehe Profil], hatte sich schon im Mai 1937 schriftlich mit der Bitte an die Gerichtspräsidenten gewandt, ‚unverzüglich sämtliche Beamten und Angestellten ihres Dienstbereichs (…) zu befragen, ob sie einen solchen Aufnahmeantrag stellen‘ wollten. Wenngleich er sein Interesse daran erklärte, ‚dass möglichst viele Beamten und Angestellten von der sich jetzt bietenden Gelegenheit Gebrauch‘ machten, sollte doch ‚jedweder Druck‘ in dieser Richtung vermieden werden. Immerhin waren aber sämtliche Anträge bei ihm einzureichen. (…)

Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Anteil der NSDAP-Mitglieder an der Beamtenschaft des öffentlichen Dienstes in Hamburg am Ende bei über 90% gelegen hat. (...)

Der öffentliche Dienst war auf Dauer einem vielseitigen, mehr oder weniger intensiven Gesinnungszwang und Formierungsterror ausgesetzt. Formalrechtlich begannen diese mit dem Berufsbeamtengesetz, setzten sich fort in zahlreichen Verordnungen und Erlassen zur Anstellung und Beförderung und mündeten ein in das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937. Diese Entwicklung kulminierte im Krieg schließlich in dem Beschluss des großdeutschen Reichstags vom 26. April 1942, der dem ‚Führer‘ das uneingeschränkte Recht einräumte, nicht nur jeden Soldaten, jeden Beamten, Richter, Staatsangestellten oder -arbeiter, sondern schlechthin ‚jeden Deutschen‘, ‚mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten […] ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen‘. (…) Dem politischen Konformitätsdruck war durch den Rückzug auf eine unpolitische Fachkompetenz nur selten auszuweichen, und er führte oft zu Konzessionen in Bezug auf Einordnung in die parteipolitischen Formationen, offizielle Loyalitätsbekundungen und andere Rituale. Er machte aus den öffentlich Bediensteten quasi politische Beamte, deren Stellung und damit auch materielle Sicherung aus politischen Gründen stets zur Disposition standen. Er stellte somit ein wesentliches Instrument zur Kontrolle und Disziplinierung dar, gegenüber einer trotz aller generellen und individuellen nationalsozialistischen Ämterpatronage weitgehend intakt gebliebenen Verwaltung.

Die Hinwendung zur NSDAP und zu den Parteiorganisationen wurde nachträglich – wie die zahllosen Zeugnisse in den Akten der Entnazifizierungskommission zeigen – häufig mit ähnlichen Argumentationsmustern gerechtfertigt. Sie sei teils aus Sympathie für die neue Bewegung geschehen, von deren Entschlossenheit und Geschlossenheit man angeblich allein noch die Behebung der großen Not erhoffte, teils aus prinzipieller Loyalität, mit der sich vornehmlich viele Beamte dem Staat unverbrüchlich verbunden fühlten. (…)

Größtenteils resultierte solches Verhalten indessen wohl auch aus der Angst, die mit Mühe aufgebaute Stellung zu verlieren, oder aus der Sorge, in der beruflichen Karriere benachteiligt zu werden. (…) Darüber hinaus zeichnete gleichfalls ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft, an bürokratischem Eifer und Funktionärsehrgeiz das Verhalten vieler im öffentlichen Dienst Tätigen aus. (…)

Reichsstatthalter Karl Kaufmann hatte zwar seine nationalsozialistische Kamarilla in den hamburgischen Staatsapparat eingebaut und die öffentliche Verwaltung von politischer und fachlicher Partizipation weitgehend ausgeschlossen, doch blieb diese während der gesamten nationalsozialistischen Zeit in ihrem Kernbestand erhalten und in ihrer administrativen Funktion bis 1945 nahezu ungebrochen leistungsfähig. Es war somit der öffentliche Dienst und nicht die nationalsozialistischen Karrieristen und Korruptionsträger in ihm, der – eingebettet in einen breiten gesellschaftlichen Grundkonsens mit dem nationalsozialistischen Regime – das nationalsozialistische System funktionstüchtig erhielt. (…)

Das Verwaltungshandeln der öffentlich Bediensteten [deutet] (...) darauf hin, dass sich die überwiegende Mehrheit weiterhin mit den Zielsetzungen ihrer jeweiligen Behörde und Ämter zu identifizieren vermochte. Es gab nicht wenige, die die Normen des demokratischen Rechtsstaates als Fesseln und die Pluralität der Meinungen als Last empfunden hatten und nun vermeinten, dass ihnen die neue Zeit mehr Möglichkeiten zu effektiverem und entschlossenerem Handeln eröffnete. (…)

Darüber hinaus zeigten die widerspruchslose Hinnahme der personalpolitischen Säuberungen wie die weitgehend geschlossene politische Formierung, dass ein im öffentlichen Dienst möglicherweise vorhandenes Widerstandspotenzial von vornherein ausgeschaltet worden war und es danach kaum Ansatzpunkte zu seiner Neubildung gab. Wo sich danach Ablehnung zeigte, war diese eher diffus oder nur punktuell. Auch fortbestehender weltanschaulicher Dissens führte nicht zur Verweigerung des Dienstes. Das Bewusstsein der allermeisten Mitarbeiter war vielmehr davon geprägt, persönlich redlich und verwaltungsgemäß stets korrekt gegenüber jedermann und in jeglicher Angelegenheit gehandelt zu haben. (…)

Diese Denk- und Verhaltensweisen der Funktionsgruppen auf der mittleren und unteren Ebene der Verwaltung trugen wesentlich dazu bei, dass die nationalsozialistische Herrschaft eine relativ hohe Effizienz und Stabilität erreichte. (…)

Die Bilanz der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, zu der die öffentliche Verwaltung in Hamburg beitrug, sah folgendermaßen aus: Innere Verwaltung, Finanz- und Justizverwaltung waren mitverantwortlich zunächst für den ‚bürgerlichen Tod‘ der Hamburger Juden, bevor sie mithalfen, auch deren physische Vernichtung ins Werk zu setzen. Zehntausend Juden wurden unter Zurücklassung fast ihrer gesamten Habe aus Hamburg vertrieben. 1500 jüdische Betriebe wurden zwangsenteignet, das heißt arisiert oder liquidiert. Annähernd 9000 Juden wurden in den Osten deportiert und dort ermordet. Ihr Besitz und ihre Vermögen wurden erfasst und ‚verwertet‘. In Durchführung der nationalsozialistischen Gesundheits- und Rassenhygienepolitik ‚sortierten‘ Gesundheits- und Sozialverwaltung über 4000 psychisch kranke Hamburger ‚aus‘; sie wurden aus Hamburg abtransportiert, fast 2700 wurden in Zwischen- oder Tötungsanstalten umgebracht. Die gleichen Verwaltungen stuften in Zusammenarbeit mit Hamburgs Erbgesundheitsgericht mindestens 16000 Hamburger als biologisch oder sozial ‚minderwertig‘ herab und ließen sie in Hamburger Krankenhäusern zwangssterilisieren. Mediziner des Hamburger Tropeninstituts erprobten im Februar 1942 neue Medikamente gegen Flecktyphus an KZ-Gefangenen in Neuengamme. Über 900 so genannte Zigeuner, fast zwei Drittel Hamburger, wurden im Mai 1940 durch die Kriminalpolizei im Hamburger Hafen interniert und nach Polen ins so genannte Generalgouvernement verschleppt; die Abwesenheitspflege für größere und wertvollere Teile des zurückgelassenen Eigentums übernahm das Amtsgericht. Zwei Jahre später wurden weitere 244 Zigeuner nach Auschwitz abtransportiert. Nur wenige sollten überleben. Die Arbeitsverwaltung in Hamburg vermittelte und betreute während der Kriegsjahre ca. 400000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die in Hamburg im ‚Kriegseinsatz‘ waren, zeitweilig bis zu 80000 zur gleichen Zeit. Hunderte von Hamburgern wurden aus politischen Gründen ins Gefängnis und als so genannte Schutzhäftlinge in die frühen Hamburger Konzentrationslager Wittmoor und Fuhlsbüttel verbracht, deren Verwaltung sich seit Dezember 1933 die Landesjustizverwaltung, die Gefängnisbehörde und die Staatspolizei teilten. Die Hamburger Kriminalpolizei ging in Zusammenarbeit mit der Gesundheits- und Fürsorgebehörde im großen Maßstab gegen die Prostitution vor und nahm allein 1933 über 1500 ‚Inschutzhaftnahmen’ vor. Im Dezember 1940 begann die Hamburger Gestapo damit, Einweisungen auch in das Konzentrationslager Neuengamme vorzunehmen, in dem über 50000 Häftlinge ums Leben kamen. (…)“ [1]

Zitat:
1 Zit. mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dessen Publikation: Uwe Lohalm: „…anständig und aufopferungsbereit“. Öffentlicher Dienst und Nationalsozialismus in Hamburg 1933 bis 1945. Hamburg 2001. (Veröffentlichungen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.)
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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