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Werner Puttfarken

( Dr. Werner Puttfarken )
(9. September 1889 Hamburg - 17. Februar 1964 ebd.)
Lehrer, Schulleiter
Adresse: Haynstraße 32 (1933); Curschmannstraße (ab 1935)
Wirkungsstätte: Johanneum, Maria-Louisen-Straße 114

Nach seinem Studium und seiner Promotion – zwischenzeitlich war er als Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen - war Puttfarken einige Jahre als Lehrer an Hamburger Gymnasien tätig. Anfang März 1933 wurde er zum Schulleiter des Johanneums ernannt. Puttfarken trat am 1.Mai 1933 der NSDAP bei, nachdem er bereits einen Monat zuvor Mitglied im Nationalistischen Lehrerbund (NSLB) geworden war und die Funktion des Ortgruppenamtsleiters in Eppendorf übernommen hatte. 1934 wurde er zudem Blockleiter. Wie der Pädagoge Reiner Lehberger feststellte, repräsentiere Puttfarken „jenen akademischen Lehrertyp, der in der Weimarer Republik im ‚Deutschen Philologenverband‘ seine Heimat hatte und der mit diesem Verband dessen nationalistisch-völkische Ideologie teilte, die Republik ablehnte, die Revision des Versailler Friedensvertrags und die Rückgabe der verlorenen Kolonien forderte […].“ (Reiner Lehberger: „Lehrersein unterm Hakenkreuz“, in: Frank Bahjohr/ Joachim Szodrzynski (Hg.): Hamburg in der NS-Zeit, Hamburg 1995, S. 260.) Puttfarken war antisemitisch eingestellt, der im vorauseilenden Gehorsam bevor die Hamburger Schulbehörde handelte, Richtlinien zu „Behandlung“ von Jüdinnen und Juden an seiner Schule herausgab – diese Richtlinien dienten zur Diskriminierung und zum Ausschluss der jüdischen Schüler/innen. Als Vorsitzender der „Patriotischen Gesellschaft“, von 1935 bis 1937, sorgte er auch dort für den Ausschluss von Mitgliedern, die keinen Ariernachweis erbringen konnten. Dennoch setzte sich Puttfarken für den von Schülern denunzierten Kollegen Ernst Fritz ein und schützte Schüler, die Pfeile auf ein, in einem Klassenraum hängendes Hitlerportrait geschossen hatten. Dieser Vorfall hatte Gestapo-Ermittlungen zufolge und endete mit der Versetzung Puttfarkens an die Oberschule für Jungen in der Armgartstraße . Zwar war er dort weiterhin als Schulleiter tätig, dennoch hatte die Stelle am Johanneum mehr Prestige gehabt.

Nach Kriegsende wurde er im Sommer1945 aus dem Schuldienst entlassen. Puttfarken setzte sich für seine rasche Entnazifizierung ein. Im April 1947 wurde er wieder in den Schuldienst aufgenommen und als Lehrer an der Oberschule für Mädchen im Alstertal tätig. In Ralph Giordanos autobiographischen Roman „Die Bertinis“ spiegelt die Figur des Schulleiters Pottferk die Person Werner Puttferken wider.

Text: Katharina Tenti

 

Schulleiter und praktizierender Antisemit

Der Schulleiter der Gelehrtenschule des Johanneums von 1933 bis 1942, Werner Puttfarken, ist bekannt geworden durch die Romanfigur des Schulleiters Pottferk in Ralph Giordanos Roman „Die Bertinis“. Vielfach nicht bekannt ist, dass Puttfarken 1942 als Schulleiter gegen Erwin Zindler ausgewechselt worden ist, weil die NS-Schulverwaltung den Eindruck hatte, dass Puttfarken insbesondere die Schülerschaft nicht mehr genügend im Griff hatte. Auch in diesem Fall ist es erschütternd, wie ein bekennender Nazi und Antisemit schon 1947 wieder im Schuldienst sein konnte.

Werner Puttfarken war schon am 6.1.1933, also noch vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, vom Kollegium und Elternrat der Gelehrtenschule des Johanneum zum Schulleiter gewählt worden (mit 40 zu 4 Stimmen). Am 1.4.1933 trat er sein Amt als Schulleiter an, gleichzeitig wurde er Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) (1), fungierte dort als Ortsgruppenamtsleiter für Eppendorf-Süd, hielt mehrfach Vorträge wie etwa: „De Lagarde als Wegbereiter des Nationalsozialismus“. (2)

Am 1.5.1933 wurde er Mitglied der NSDAP, übernahm 1934 das Amt eines Blockleiters, ab 1942 das des stellvertretenden Blockleiters. In all dieser Zeit war er im Sinne der Partei aktiv. 1935 nahm er vom 13. Mai bis zum 8. Juni an einem Kurs der Gauführerschule Ritterstraße teil und wurde dafür vom Dienst als Schulleiter befreit.

Eine der ersten Anordnungen der Landesunterrichtsbehörde betraf das „Flaggenhissen am Montagmorgen“ vom 1.7.1933: „Nachdem die Einigung des deutschen Volkes vollzogen ist, das Parteiwesen aufgehört hat und es nur noch eine einzige deutsche Bewegung gibt, die zur deutschen Volksgemeinschaft führen soll, will die Landesunterrichtsbehörde das Symbol dieses neuen Deutschland auch der heranwachsenden Jugend deutlicher als je einprägen.“ (3)

Unschwer zu erkennen, dass Werner Puttfarken das Muster für die Romanfigur des Schulleiters Pottferk abgegeben hat in dem autobiografischen Romans von Ralph Giordano, in dem die Schikanen der Schule gegenüber jüdischen Schülern am Johanneum geschildert werden:

„Von der Sexta bis zur Obertertia tummelten sich die Johanneer in den Pausen auf dem Außenhof, während der Innenhof mit der nackten Bronzestatue, dem Schatten einer riesigen Kastanie und der gelassenen Würde des breiten Portals den Schülern der Oberstufe, zwischen Untersekunda und Oberprima vorbehalten war.

Hier nun wurde jeden Montag ein Ritual im Stil der neuen Zeit zelebriert - der Morgenappell! Die traditionelle Andacht in der Aula mit ihren gewaltigen Orgelklängen und dem Absingen heiliger Lieder aus einem kleinen schwarzen Buch genügte nicht mehr. Zu Wochenbeginn ging es hinaus auf den Innenhof, wo sich kurz vor acht Uhr, nach Klassen angetreten, die sechshundertköpfige Schülerschaft versammelte, dazu die Lehrer und das Hauspersonal, der hinkende Pedell eingeschlossen. Gebannt starrten alle auf das Mittelteil des Portals, wo auf den Glockenschlag der vollen Stunde der neue Schulleiter Pottferk erschien, um einen Moment den Blick fest über die Versammlung schweifen zu lassen, ehe er den rechten Arm hob und den deutschen Gruß über die Fläche bellte. Der Chor gab mächtig Echo: „Heil Hitler!“

Dann schritt der starkbeleibte Mann, das Auge rechts, das Auge links, kurzbeinig über den steinernen Streifen des Innenhofs, drehte sich um die eigene Achse, verschränkte die Hände auf dem Rücken und schaute zur Dachkanzel empor. In dieser Pose, halb Napoleon, halb Cäsar, verharrte der Schulleiter eine Minute in bedeutsamer Konzentration, worauf sein militärisches ‚Heiß Flagge’ erscholl. Und während dort oben von der Hand des Hauptturnlehrers kraftvoll bedient, das schwarze Balkenkreuz mit weißen Grund auf roter Fahne am Mast emporstieg, stimmten Pottferk, Lehrer, Schüler und das Hauspersonal ohne jede orchestrale Begleitung die Nationalhymne an: ‚Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt…’ Danach trat eine winzige Pause ein, und weiter ging es mit der neuen Zwillingshymne ‚Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen, SA marschiert in ruhig festem Tritt…’

Waren auch diese Strophen verklungen, stapfte Schulleiter Pottferk wieder auf das Portal zu und verkündete von der höchsten Treppenstufe herab, das Auge rechts, das Auge links: Deutschland sei erwacht! Dann pries er den Führer, für dessen Werk er von Woche zu Woche bewegtere Worte fand.“ (4)

Werner Puttfarken bekannte sich in einem „Gelöbnis“ im Juniheft des Johanneum 1933 gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Elternbundes und des Ehemaligenvereins zum nationalsozialistischen Staat: „ Stets hat unsere Schule es als hohe Aufgabe betrachtet, die ihr anvertraute Jugend im nationalen Geiste zu erfüllen. Doch bekennen wir voll Dankbarkeit und Verehrung, daß unser Reichskanzler Adolf Hitler Persönlichkeit, Wort und Werk uns zu tieferer Erkenntnis und bewußterer Erfassung der deutschen Erziehungsaufgaben geleitet hat. Er weist uns neue Wege, neue Ziele: Nation und Deutscher Mensch als Aufgabe, Erziehung zur gemeinschaftsgebundenen, christlichen Persönlichkeit, die im Geiste eines wahren Sozialismus sich bewusst, uneigennützig, pflichtfreudig und verantwortungsbereit dem großen Ganzen der zu schaffenden Deutschen Nation unterordnet und eingliedert.“ (5)

Zwei Jahre später fand am Johanneum in einer „volksdeutschen Feierstunde“ am 20.9.1935 die Einweihung einer Hitlerbüste statt. Puttfarken erneuert dabei sein Bekenntnis zu Adolf Hitler: „Dieser Glaube unseres Führers, der auch unser Glaube ist und es immer tiefer und stärker und reiner werden soll, duldet auf politischem Gebiete nichts neben sich, er bekennt: Deutschland, nur Deutschland!“ (6)

Das dies durchaus im Einklang mit der Arbeit eines humanistischen Gymnasiums stand, belegte die Aufforderung Puttfarkens an die Landesunterrichtsbehörde, sich für die Erhaltung dieser Schulform einzusetzen, die wie keine andere Schulform geeignet sei, zu staatsbürgerlichem Denken und Wollen zu erziehen.“ (8)

Der beste Chronist der nationalsozialistischen Prägung des Schulalltags am Johanneum war Werner Puttfarken selbst. Seit seinem Dienstantritt führt er ein Diensttagebuch, das erhalten geblieben ist. In der Schulzeitschrift „Das Johanneum“ ist er Autor der „Schulnachrichten“.

Sicher für einen anderen Zweck angelegt, dokumentiert der Verantwortliche hier, dass sich das Johanneum nicht von dem NS-geprägten Schulalltag anderer Schulen unterschied: „Flaggenappelle, Übertragungen von Reden führender Nationalsozialisten, nationalpolitische Filmvorführungen, Sammeltage des Winterhilfswerks, Gedächtnisfeiern des 30. Januars 1933, Reichsgründungsfeiern, ‚Führergeburtstage‘, der Tod Hindenburgs und dessen Gedächtnisfeier. Die Anschaffung einer HJ-Fahne war ihm erwähnenswert.“ (8)

Positiv, dass das Johanneum sich in seiner Festschrift zum 475-jährigen Jubiläum der Gelehrtenschule in einem bemerkenswerten Beitrag von Rainer Hering selbst mit seiner nationalsozialistischen Phase auseinandersetzte. ( 9)

Senator Karl Witt hatte am 21.8.1933 315 neue Schulleiter an höheren Schulen, Volks- und Berufsschulen in ihr Amt eingeführt (10), um dafür zu sorgen, dass im Sinne nationalsozialistischer Ideologie Schule gehalten und geleitet wurde. Insofern war die Praxis Puttfarkens nicht ungewöhnlich.

Deutlich darüber hinaus gingen allerdings Puttfarkens antisemitischen Aktivitäten. „Sie zeigte sich vor allem in seiner Aggression gegen jüdische Schüler, die er ‚aus der Schule hinausschikanierte’, um auf diese Weise ihre Zahl zu dezimieren. Sicherlich wollte er sich damit gegenüber der Behörde profilieren, aber sein vehementes Engagement lässt auch auf innere Überzeugung schließen“, wie Rainer Hering schrieb.

Hering nannte einige Beispiele. So wurde im September 1935 „der Schüler Ludwig Scheuer, in damaliger Terminologie als ‚Nichtarier’ diskreditiert, „wegen seiner passiven negativen Einstellung zum nationalsozialistischen Gedankengut und Staat von der Schule verwiesen“, wie Puttfarken in seinem Diensttagebuch festhielt. (11)

Puttfarken hatte in einem Brief an Scheuers Vater den Verweis von der Schule damit begründet, Ludwig Scheuer hätte seit längerem in verschiedenen Unterrichtsstunden eine Einstellung gezeigt, die von bewusster Gleichgültigkeit und Ablehnung des gebotenen Stoffes zeugt und trotz mehrfacher Ermahnung und lange geübter Nachsicht  sein Verhalten nicht geändert. Seine Einstellung sei in seinem letzten deutschen Aufsatz, in dem eine völlig unangebrachte und unberechtigte Kritik am deutschen Unterricht und darüber hinausgehend an der nationalsozialistischen Schule „zu deutlichem Ausdruck gelangt“. (12)

Im Februar 1938 verfasste Werner Puttfarken einen „Bericht über Juden am Johanneum“, in dem er von ihm ergriffene Maßnahmen beschrieb: „Mit Beginn des neuen Schuljahre 1937/38 wurden Anordnungen über die Behandlung der Juden vom Schulleiter erlassen: besondere Plätze in der Klasse, empfohlen, keine Teilnahme an Schulfeierlichkeiten, Wandertagen, Reisen usw., kurz an allen Veranstaltungen, die das Gepräge kameradschaftlichen Gemeinschaftserleben tragen und über den Rahmen des Unterrichtlichen hinausgehen.“ Im Schulorchester durften nur HJ-Angehörige oder „mindestens HJ-fähige Schüler mitspielen“. (13)

Puttfarken hatte im Einvernehmen mit der Behörde besondere „Richtlinien für die Behandlung der Judenfrage“ herausgegeben, nach denen die „Judenfrage“ im Geschichtsunterricht mindestens drei bis vier Stunden „eingehend“ thematisiert werden musste. Danach habe es eine Reihe von Abmeldungen jüdischer Schüler „sowie eine bewusstere Stellungnahme der deutschen Schüler gegenüber den jüdischen“ gegeben.

Dennoch war ihm der Stand von 20 ‚Juden’ und 22 ‚Mischlingen’ bei insgesamt 520 Schülern immer noch ein Dorn im Auge. Gerade an den „Halbjuden, die ihres jüdischen Aussehens wegen in der Öffentlichkeit schon oft Anstoß erregten“ störte er sich. Er verlangte, dass keine weiteren „Juden“ bzw. „Mischlinge“ aufgenommen würden, bis der Prozentsatz von 1,5 unterschritten sei. (14)

Puttfarken und sein Stellvertreter, Gerhard Rösch, der schon seit

1932 der SA angehörte, hatten schon 1937 die Aufnahme jüdischer Schüler abgelehnt, was Puttfarken folgendermaßen kommentierte: „Ich habe durch die grosse Anzahl jüdischer und halbjüdischer Schüler grosse Schwierigkeiten und Behinderungen in der politischen Erziehung der Schüler. Keiner meiner Lehrer und deutschen Schüler würde es verstehen, wenn jetzt noch Juden aufgenommen würden.“ (15)

Den Antisemitismus praktizierte Puttfarken auch bei seiner Tätigkeit in der Patriotischen Gesellschaft, die er zeitweise (von 1935 bis 1937) als Vorsitzender leitete und dessen Vorstand er bis 1949 angehörte.

Unter Vorsitz von Puttfarken wurde am 24.9.1935 beschlossen, dass für die Mitgliedschaft in der Patriotischen Gesellschaft der „Arierparagraph“ gelten sollte. Die Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft mussten also neun Tage nach Beschluss der Nürnberger Rassengesetze ihre arische Herkunft nachweisen. Sie hatten eine Erklärung abgeben, in der es hieß: „Ich erkläre, dass ich und meine Frau arischer Abstimmung sind“.

Daraufhin wurden unter Vorsitz von Puttfarken 21 Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft ausgeschlossen, unter ihnen Aby und Max Warburg. (16)

In zwei Situationen zeigte Werner Puttfarken nichtopportunistisches Verhalten. Als der Studienrat Ernst Fritz 1936 von Schülern denunziert, danach entlassen und verhaftet wurde, meldete Puttfarken bei der Behörde Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schüleraussage an. (17)

Das Risiko für Puttfarken blieb überschaubar, auch der mit ihm befreundete Hamburger Landesbischof Franz Tügel, auch überzeugtes NSDAP-Mitglied seit 1931, hatte sich ebenfalls für Ernst Fritz eingesetzt, der einen seiner Söhne unterrichtete. Immerhin diente es Puttfarken im späteren Entnazifizierungsverfahren als Hinweis, im Gegensatz zur NSDAP gestanden zu haben.

Ein zweites Beispiel beschrieb Rainer Hering. Als im März 1942 drei 6-Klässler Pfeile auf ein über der Tafel hängendes Hitlerbild abgeschossen hatten, versuchte Puttfarken dieses als dummen Schülerstreich nicht überzubewerten. Nach Denunziationen wurde dieses aber im Beisein der Oberschulräte Albert Henze, Theodor Mühe, Karl Züge und zweier Vertreter der Geheimen Staatspolizei untersucht. Die Schüler wurden im Einvernehmen Puttfarkens von der Schule verwiesen, aber an einer anderen höheren Schule weiter unterrichtet.

Einige Monate später wurde Puttfarken dann als Schulleiter an die Oberschule für Jungen an der Armgartstraße versetzt, was er schon deshalb als Kränkung empfinden musste, weil jede andere höhere Schule natürlich nicht das Prestige der Gelehrtenschule hatte. Statt seiner wurde Erwin Zindler an das Johanneum berufen (18). Auch diesen Vorgang wurde von Puttfarken im späteren Entnazifizierungsverfahren genutzt.

Werner Puttfarken blieb Schulleiter, bis er am 29.6.1945 durch den neuen Schulsenator Heinrich Landahl beurlaubt wurde und am 12.9.1945 Senator Landahl die Entlassung verfügte. (19)

Biografische Daten: Werner Puttfarken wurde am 9.9.189 in Hamburg geboren. Er war der ältere zweier Söhne des Zollbeamten Erich Puttfarken und seiner Ehefrau Margarete. Bevor der Vater mit der Familie nach Rostock ging, besuchte Werner Puttfarken von 1896 bis 1897 die Vorschule des Realgymnasiums des Johanneums. Nach der Rückkehr nach Hamburg ging Puttfarken auf das Matthias-Claudius-Gymnasium, an dem er 1908 die Reifeprüfung ablegte.

Danach studierte er fünf Jahre Geschichte, Alte Sprachen und Philosophie in München, Berlin und Kiel, wo er 1913 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen mit Auszeichnung bestand. 1914 promovierte er in Kiel, Thema seiner Arbeit: Asyndeton bei den römischen Dichtern.

Er bewarb sich in Hamburg und absolvierte am Johanneum von 1913 bis 1915 das Anleitungs- und Probejahr, wurde dann zum Kriegsdienst eingezogen und durch einen Halsschuss schwer verwundet, die Sprechfähigkeit war vorübergehend verloren gegangen.

Nach seiner Wiederherstellung wurde Puttfarken 1919 als Oberlehrer der Gelehrtenschule des Johanneum zugewiesen.

Am 25.7.1919 heiratete Puttfarken Anni Schümann, mit der er drei Kinder hatte.

Nach der Suspendierung am 29.6.1945 wurde die persönliche Geschichte umgeschrieben.

Puttfarken füllte den Entnazifizierungsfragebogen am 8.8.1945 aus, in Deutsch und Englisch. Als Zeuge unterschrieb Heinrich Schröder, der ihm als Oberschulrat für das Höhere Schulwesen einen Monat später den ersten Persilschein ausstellte.

In einer Erklärung, die er als Anlage zu dem Fragebogen abgab, verfolgte Puttfarken  eine geschickte Strategie: So wies er darauf hin, dass ihn das Kollegium schon vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30.1.1933 gewählt  hätte (nämlich am 6.1.1933). Damit suggerierte er, nicht durch NS-Protektion in das Amt gekommen zu sein. Bei Puttfarken hieß es: „Später wurde ich von der Nationalsozialistischen Regierung als Schulleiter bestätigt.“

Als zweites wies er auf die Auseinandersetzungen mit der HJ an der Schule hin, die es an nahezu allen Schulen gegeben hatte. „Im besonderen wurde ständig gegen die altbewährten und von mir strikt abgehaltenen Schulveranstaltungen gekämpft (Konzerte, Theateraufführungen z.T. christlichen Inhalts zu Weihnachten)“. Man erinnere sich an die Eintragungen Puttfarkens in sein Diensttagebuch, bei denen ganz andere Feiern und Anlässe eine hervorstechende Rolle spielten. Dann erwähnte er die Verhaftung von Schülern, die zur Swingjugend gehörten und die Verhaftung von Ernst Fritz im Jahr 1936.

„Ich sprach ihm trotzdem in der Schulzeitschrift öffentlich meinen Dank für seine 19-jährige Tätigkeit am Johanneum aus und erhielt auf Denunziation der HJ einen scharfen Verweis vom Reichsstatthalter, das Schriftstück muss in meiner Personalakte liegen.“ (19)  

Da befand es sich allerdings nicht.

Für seine NSDAP-Mitgliedschaft fand er eine interessante Formulierung: „Es erscheint mir unmännlich, wenn ich nicht offen bekennen wollte, dass ich am 1.5.1933 aus Idealismus in der felsenfesten Überzeugung in die NSDAP eintrat, dass sich durch sie eine bessere Zukunft für Deutschland anbahne.“ Er bekannte sich zur praktischen Tätigkeit als Blockleiter, „machte aber bald die Erfahrung, dass es sich dabei um eine ganz untergeordnete ungeistige Tätigkeit handelte, auch in dem dann übernommenen Amt als Ortsgruppenamtsleiter machte ich dann die gleiche enttäuschende Erfahrung und benutzte dann eine 1936 entstehende Venenentzündung, um als politischer Leiter ganz auszuscheiden.“ (20)

Auf starken Druck hätte er dann 1942 noch einmal als Blockleiter fungiert. „Inzwischen hatte sich meine Einstellung zur NSDAP aufgrund meiner Erfahrungen völlig geändert, aber ich konnte es nicht wagen, meinen Austritt zu erklären, einmal als Vater von drei unversorgten Kindern und zum anderen aus Rücksicht auf das Johanneum, das sowieso als Hort des Widerstandes gern und oft angegriffen wurde.“ (21)

In Kenntnis seiner Ausfälle gegen Juden und Andersdenkende an seiner Schule und der Partei- und SA-Mitgliedschaft vieler Lehrer der Schule eine peinliche Einlassung.

Puttfarken verwies dann noch auf seine religiöse Einstellung und seine Morgenandachten, in denen er jeweils an Bibelzitaten angeknüpft hätte.

Und letztlich führte er die „Strafversetzung“ an, wie er es nannte. Er habe diese ( displaced by punishment to another less famous school)  als „ungerechte Kränkung” empfunden und später als unmittelbare materielle Schädigung dadurch, daß „die Gelehrtenschule des Johanneums zu einer besonders bedeutsamen Schule erklärt wurde, deren Direktor das Gehalt eines Oberschulrats erhielt, während die von mir geleitete Schule nicht dazu gehörte.“ (22) Hier bestimmten Kränkung und Eitelkeit die Feder von Werner Puttfarken, er vergaß dabei ganz den strategischen Aspekt seiner eingeschlagenen Argumentation.

Am 20.8. 1945 schrieb er an Oberschulrat Heinrich Schöder:

„Es ist mir inzwischen klar geworden, daß der mir durch meine Strafversetzung zugefügte ideelle und materielle Schaden sehr wohl eine Beschränkung der beruflichen Freiheit aus religiösen Gründen genannt werden kann.“ (23)

Was mag die Erinnerung so getrübt haben?

Werner Puttfarken hatte in den letzten beiden Kriegsjahren schwere familiäre Schicksalsschläge hinnehmen müssen. So starb am 28.8.1944 seine Ehefrau Anni. Kurz davor war schon die Frau seines sich im Krieg befindlichen Sohnes Dietrich gestorben, wahrscheinlich in Folge der Geburt eines zweiten Kindes, das überlebte. Auf Anfrage Puttfarkens erklärte die Wehrmacht, keine Meldung über seinen Sohn, Ritterkreuzträger und Hauptmann, vorliegen zu haben.

Puttfarken übernahm die Verantwortung für die beiden Enkelkinder. Der Sohn war noch 1947 als vermisst gemeldet.

Puttfarken wandte sich in dieser Zeit stark der Kirche zu. 1950 heiratete er wieder, die jüngere Schwester seiner ersten Frau.

Die antisemitische Haltung Puttfarkens wurde im gesamten Entnazifizierungsverfahren nicht ein einziges Mal erwähnt. Die Entnazifizierung im Bereich der Höheren Schulen fand offensichtlich anders statt als im Bereich der Volksschulen. Während dort erklärte Gegner des Naziregimes, zumeist von den Nationalsozialisten entlassene ehemalige Schulleiter und Vorstandsmitglieder der Gesellschaft der Freunde arbeiteten, saßen in diesem Verfahren befangene Personen an entscheidenden Stellen. Im Entnazifizierungsausschuss für Puttfarken urteilte Willi Thede, Lehrer des Johanneums, mit dem Puttfarken verbunden war, 1934 laut Personalakte auf gemeinsamer Studienreise in England. Willi Thede, mittlerweile stellvertretender Direktor des Johanneums, hatte sich in einem Leumundbrief schon vorher für Puttfarken eingesetzt. Unverständlich, dass er dennoch im Beratenden Ausschuss diesen Fall entscheiden konnte. So bedurfte es nur noch weniger Schritte, um Puttfarken wieder in den Schuldienst aufzunehmen.

Der Beratende Ausschuss begründete seine Entscheidung:

„Ein Mitglied des Beratenden Ausschusses, Herr Thede, der Puttfarken schon seit 22 Jahren kennt, hat ausführlich Stellung genommen. Danach ist Puttfarken trotz seiner formalen Belastung nur als nominelles Mitglied anzusehen. Der Beratende Ausschuss befürwortet seine Wiedereinstellung als Studienrat.“ (24)

Angefangen hatte dieses begünstigende Verfahren mit dem Persilschein aus der Schulbehörde, den der sonst so kritische Oberschulrat Heinrich Schröder schon am 5.September 1945 geliefert hatte: „In his inmost heart, he never was a national sozialist, and above all he defendet the Christian traditions of his school against attacks by the party and the HJ. For the benefit of his school he thought it necessary to take over the office of a Blockleiter. The non-Party members of his staff vouch for him. There is no doubt about his being able to render valuable service to the democratic school when teaching Latin and Greek.” (25) Für mich unverständlich, wieso sich Heinrich Schröder so deutlich und vehement für Werner Puttfarken einsetzte. Es muss eine Beziehung geben haben, die für mich nicht nachvollziehbar ist.

Erwähnenswert noch die Leumundszeugnisse von Pastoren aus dem Bereich der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Hoheluft. Am 17.8.1945 berief die Gemeinde Puttfarken zum Kirchenvorsteher, „ da wir Sie als tief-religiöse Persönlichkeit und als eifrigen Besucher unserer Gottesdienste kennen und wertschätzen gelernt haben“. (26)  Dafür mögen die Todesfälle in Puttfarkens Familie möglicherweise ursächlich gewesen sein.

Schon am 10.4.1947 wurde Puttfarken an der Oberschule für Mädchen Alstertal wieder als Lehrer eingestellt. (27)

So leicht sind andere vergleichbar belastete Personen im Hamburger Bildungswesen nicht entnazifiziert worden.

Die einzige Irritation hatte es durch zwei Opfer Puttfarkens gegeben.

Egon und Ralph Giordano schrieben 1947 einige Male an die Schulbehörde und fragten: „Wir haben gehört, dass der Naziaktivist Werner Puttfarken wieder im Schuldienst tätig sein soll und bitten Sie, so schnell wie möglich mitzuteilen, ob das Tatsache ist.“

Nach mehrfacher Nachfrage wurde geantwortet, dass der frühere Oberstudiendirektor Puttfarken nicht wieder in sein bisheriges Amt eingesetzt, sondern nach Rückstufung in das Amt eines Studienrates der Oberschule im Alstertal zugewiesen ist. (28)

Am 7.1.1952 wurde Puttfarken mitgeteilt, er sei zum Abschluss der Entnazifizierung endgültig in Kategorie V eingestuft, als Unbelasteter.

Bis zu seiner Pensionierung am 2.3.1955 stritt Puttfarken darum, sowohl die Amtsbezeichnung Oberstudiendirektor als auch die entsprechenden Bezüge zu erhalten. Das wurde ihm verwehrt.

Pensioniert wurde er als Studienrat, er selbst unterschrieb meist als Oberstudiendirektor a.D., arbeitete noch drei Jahre nach seiner Pensionierung als Lehrbeauftragter. (29)

Werner Puttfarken starb am 17.2.1964, „nach langem Leiden“, wie es in der Traueranzeige hieß. (30)

Text: Hans-Peter de Lorent

Quellen:
Reiner Lehberger: „Lehrersein unterm Hakenkreuz.“ Eine Annäherung über eine biographische Skizze, in: Frank Bahjohr/ Joachim Szodrzynski (Hg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen, Hamburg 1995, S. 259-280; Hans-Peter de Lorent: Werner Puttfarken – Schulleiter und praktizierender Antisemit, in: hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 9/2010, S. 46-51. ( www.gew-hamburg.de/sites/default/files/hlz/artikel/9-2010/magazin-nazibiographien-10.pdf, 30.5.2015)

Anmerkungen de Lorent
1. Alle Daten, wenn nicht anders angegeben, aus seiner Personalakte: StA HH, 361- 3_A 1582 oder der Entnazifizierungsakte Puttfarken, StA HH, 221- 11_Ed 1055.
2. HLZ 40/ 1934, S. 582.
3. Siehe: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag unterm Hakenkreuz, Hamburg1986, S. 9
4. Ralph Giordano: Die Bertinis, Roman Frankfurt/M. 1985, S. 152 f.
5. Das Johanneum, 6. Jg., Heft 23.Juni 1933, S. 317.
6. Das Johanneum, 8. Jg., Heft 33, Dez. 1935, S. 230-233.
7. Siehe Uwe Schmidt: Aktiv für das Gymnasium,Hamburg 1999, S. 382
8. Rainer Hering: Nationalsozialist oder schwacher Charakter? Dr. Werner Puttfarken, Schulleiter der Gelehrtenschule des Johanneums von 1933-1942, in: Symposion, Festschrift zum 475-jährigen Jubiläum der Gelehrtenschule des Johanneums, hrsg. von Christine von Müller, Uwe Petersen und Uwe Reimer, Hamburg 2004, S. 49 ff.
9. Ebd.
10. HLZ 30/ 1933, S. 421.
11. Hering, a.a.O., S. 54.
12. Ebd.
13. Zitiert nach Hering, a.a.O., S. 54 ff.
14. StA HH 361-2 II Oberschulbehörde A 1_Nr. 20, zitiert nach Hering, a.a.O., S. 55.
15. Angaben nach Hering, a.a.O., S. 51.
16. Marlies Roß: „Mitglied der Gesellschaft kann jeder arische Volksgenosse werden“, in : Hamburger Notizen, 4. Quartal , Hamburg 2004, hrsg. von der patriotischen Gesellschaft von 1765, Hamburg 2004.
17. Siehe Walter Jens: Ernst Fritz: „ Schließt die Augen, Jungs“ in: Ursel Hochmuth/Hans-Peter de Lorent (Hrsg.). Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 214. Siehe auch: Uwe Reimer: Johanneum 1945. Ende und Anfang, Hamburg 2012, S. 52 ff.
18. Siehe Biografie Erwin Zindler in diesem Buch.
19. Entnazifizierungsakte Puttfarken, a.a.O.
20. Ergänzung zum Fragebogen, ebd.
21. Ebd.
22. Ebd.
23. Personalakte Puttfarken, a.a.O.
24. Ebd.
25. Ebd.
26. Ebd.
27. Ebd.
28. Ebd.
29. Dieses und alle vorstehenden Dokumente ebd.
30. Ebd.
 

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muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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