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Firmengemeinschaftslager Finksweg

( Firmengemeinschaftslager Finksweg: AEG-Schiffbaubüro, Wayss & Freytag AG, Niederlassung Hamburg, Deutsche Werft AG, Arbeitsgemeinschaft Finkenwärder Beton- und Monierbau AG )
AEG-Schiffbaubüro, Wayss & Freytag AG, Niederlassung Hamburg, Deutsche Werft AG, Arbeitsgemeinschaft Finkenwärder Beton- und Monierbau AG
Firmengemeinschaftslager der aufgeführten Firmen für Zwangsarbeiter*innen
Finksweg

Das Lager war unbewacht und wurde mehrfach erweitert. Im Oktober 1944 waren hier 1221 Zwangsarbeiter*innen in 10 Doppelbaracken registriert, auch mit Kindern. Das Lager bestand von Juli 1941 bis Oktober 1944

In diesem Lager waren auch Säuglinge untergebracht. 3 Kinder kamen im Lager Finksweg zur Welt. 3 Kinder waren im Heimatland ihrer Mutter in der Ukraine zur Welt gekommen. 2 Kinder kamen in der Frauenklinik Finkenau , Hamburg-Uhlenhorst, zur Welt.
4 Kinder verstarben im Lager Finksweg . 1 Kind verstarb im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. 2 Kinder verstarben in der Universitätsklinik Eppendorf. 1 Kind verstarb im Hamburger Ausweichkrankenhaus Wintermoor , Ehrhorn/Krs. Soltau.

Einige Beispiele:

Viktor Dolisznyj kam am 5.3.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Paraska Dolischna, geb. am 4.3.1921 in Horodok, war römisch-katholischen Glaubens und ledig. Aus ihrer Heimat Ukraine verschleppt, kam sie zunächst nach Hamburg-Langenhorn in das „Ostarbeiterlager“ Tannenkoppel, Weg 4, und musste für die Hanseatische Kettenwerk GmbH (HAK) und / oder die Deutsche Meßapparate GmbH (Messap) Zwangsarbeit leisten. In dieser Zeit war sie schwanger.
Am Tag vor der Geburt ihres Kindes, an ihrem 23. Geburtstag, wurde sie in der Frauenklinik Finkenau , Hamburg-Uhlenhorst, aufgenommen. Dreieinhalb Wochen nach der Entbindung kam sie mit ihrem Sohn Viktor am 29. März 1944 zurück in das Lager Tannenkoppel. In der folgenden Zeit wurde sie zur Zwangsarbeit für die Deutsche Werft AG in das „Ostarbeiterlager“ Finksweg nach Hamburg-Finkenwärder verlegt. Dort musste Victor die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.
Er verstarb am 24. April 1945 um 4:00 Uhr im Lager Finksweg . Die Dolmetscherin Vera Kouzkaja, Wohnort Hamburg-Finkenwärder, zeigte den Sterbefall mündlich an. In der Sterbeurkunde ist die Todesursache mit „Rachitis und Durchfall“ angegeben.1)


Alexander Inaschenko kam am 6.10.1939 in Medwescha Balka zur Welt. Seine Eltern, Nadeschka Inaschenko, geb. am 7.4.1913, und Wassily Inaschenko, geb. am 6.8.1906, von Beruf Bauer, waren vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Medwesche Balka / bei Kirowograd / Ukraine mit ihren drei dort geborenen Kindern: Alexander, Katerina, geb. am 19.4.1941, und Jewgenia, geb. am 5.3.1943, verschleppt, mussten sie seit dem 12. Juni 1944 in Hamburg-Langenhorn für die Hanseatischen Kettenwerke GmbH (HAK) Zwangsarbeit leisten. Sie waren im Lager Tannenkoppel, Weg 4, untergebracht. Fünf Monate später wurden sie am 13. November 1944 nach Hamburg-Finkenwärder in das Lager Finksweg der Deutschen Werft AG verlegt. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für Alexander und seine Schwestern völlig unzureichend.
Einen Tag nach der Kapitulation Hamburgs und Übergabe der Hansestadt an die britische Armee verstarb Alexander am 4. Mai 1945 um 7:00 Uhr im Universitäts-Krankenhaus Eppendorf. In der Todesanzeige des Krankenhauses ist als Todesursache „Scharlach“ „Hämorrhagischi Nephritis“ (zu Blutungen führende Nierenentzündung) „Pneumonie“ (Lungenentzündung) und als unterzeichnender Arzt Kirchmair* angegeben.
Alexanders Geburtsort ist in diesem Dokument mit „Hamburg“ verzeichnet und seine Eltern als unbekannt, „wahrscheinlich“ aus der Ukraine stammend und mit letztem Wohnort „Arbeitslager Finkenwärder“ aufgeführt. 2)


Jurij Laschenko kam am 2.3.1937 in Djnepepotrowsk zur Welt. Seine Eltern, Anna, geb. Litnik, geb. am 5.1.1914 in Weliki / Charkow, und der „Motorist“ Dimitrij Laschenko, geb. am 14.11.1912 in Weliki / Butschki, waren vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Weliki Butschki / Ukraine mit Jurij und seinen jüngeren Geschwistern, Nadeschka, geb. am 25.10.1942 in Weliki, und Alexander, geb. am 8.4.1944 in Kamrad, verschleppt, kamen sie zunächst nach Hamburg-Langenhorn. Dort mussten Anna und Dimitrij Laschenko seit dem 12. Juni 1944 bei der Deutschen Meßapparate GmbH (Messap) Zwangsarbeit leisten. Am 20. Januar 1945 erfolgte ihre Verlegung nach Hamburg-Finkenwärder in das Lager Finksweg zur Zwangsarbeit für die Deutsche Werft AG.
Kurz vor Kriegsende wurde Jurij am 2. Mai 1945 mit der Diagnose „Angina Scharlach“ in das Allgemeine Krankenhaus Langenhorn eingeliefert. Drei Wochen später verstarb er dort am 24. Mai 1945 um 20:30 Uhr. In der Todesanzeige des Krankenhauses ist als Todesursache „Scharlach Herzmuskelschwäche“ und als unterzeichnender Arzt Lehmann* angegeben. 3)


Georg Rudometow kam am 7.3.1945 in Hamburg zur Welt. Seine Eltern, Ludmilla, geb. Kratschkowskaja, und Jurij Rudomentow, geb. am 25.8.1925 in Pjatigorsk/Kaukasus, waren seit dem 27. Februar 1943 in Odessa verheiratet und vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Russland verschleppt, mussten sie in Hamburg-Finkenwärder für die Deutsche Werft AG Zwangsarbeit leisten, Jurij Rudomentow seit dem 6. Juni 1944 als Maschinenschlosser. Sie waren im „Ostarbeiterlager“ Finksweg untergebracht. Ludmilla Rudomentow war dort in dieser Zeit schwanger.
Im dritten Monat ihrer Schwangerschaft verlor sie ihren Ehemann: Jurij Rudomentow verstarb am 6. Oktober 1944 um 12:25 Uhr auf der Deutschen Werft in Finkenwärder „infolge eines Fliegerangriffs“. Als Todesursache ist im Sterberegister angegeben: „Bombensplitter in der Brust, Zerreissungen der Brustorgane, Oberarm verloren.“ Jurij Rudomento war 19 Jahre alt. Der Sterbefall wurde im Sterberegister auf schriftliche Anzeige des Polizeipräsidenten Hamburg-V.4/44 L.Liste 32844 eingetragen. Zweieinhalb Wochen nach seinem Tod fand am 23. Oktober 1944 seine Beisetzung auf dem Friedhof Ohlsdorf statt, Grablage: Bp 73, Reihe 8, Nr. 6. Eine Grabsteinplatte mit seinem eingemeißelten Namen, seinem Geburts- und Sterbedatum erinnert dort noch heute an ihn.
Sechs Monate nach dem Tod ihres Ehemannes brachte Ludmilla am 7. März 1945 um 1:45 Uhr im Lager Finksweg ihren Sohn Georg zur Welt. Die Dolmetscherin Vera Korezkaja, Hamburg-Finkenwärder, zeigte den Geburtssfall beim Standesamt mündlich an.
Im Lager Finksweg musste Georg die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend. Er verstarb dort am 2. April 1945 um 16:00 Uhr. Im Sterberegister ist als Todesursache „schwerer Herzschlag“ angegeben. Die Dolmetscherin Vera Korezkaja, Wohnort Hamburg-Finkenwärder, zeigte den Todesfall beim Standesamt mündlich an.4)

Text: Margot Löhr

Quellen:
Zu 1) Standesamt Hamburg 6, Geburtsregister Nr. 539/1944 Viktor Dolisznyj; StaH 131-1 II, 517, Listen der in Hamburg während des Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen Ausländer. Band 2: Sowjetbürger, Polen, Niederländer und Belgier, S. 78; 131-1 II_2723 Gräber russischer Kriegsgefangener und Ostarbeiter auf Friedhöfen des Hamburger Gebiets - Erfassung, Instandsetzung, Pflege, Zuständigkeiten, S. 3; StaH 332-5 Standesämter, 1239 u. 122/1945 Viktor Dolisznyj; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945, 741-4 Fotoarchiv, K 4594; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Frauenklinik Finkenau 2.1.2.1 / 70646047, Copy of Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77082674 Viktor Dolischnij; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
Zu 2): StaH 332-5 Standesämter, Sterberegister 9959 u. 1006/1945 Alexander Inaschenko; StaH 332-5 Sterbefallsammelakten, 64399 u. 1006/1945 Alexander Inaschenko; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945, 741-4 Fotoarchiv, K 4596; StaH 332-8 Meldewesen, A 50/1 Hausmeldekartei, 741-4 Fotoarchiv, K 2510 Weg 4, Hak; StaH 741-4 Photoarchiv, Hausmeldekartei K 2510 A - Weg 4; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, Ed 3839, Dr. Heinrich Kirchmair, geb. 1.4.1906 Lübeck, wohnhaft Abendrothsweg 25, gehörte 1936 für ein halbes Jahr der Hitler-Jugend (HJ), ansonsten keiner Partei oder NS Organisation an. Seit August 1939 begann er als Praktikant und Volontär in der Universitätsklinik Eppendorf und arbeitete dann weiter dort als Assistenzarzt; Die Entnazifizierungskommission hatte im Dezember 1945 gegen ihn keine Sicherheitsbedenken.
Zu 3): StaH 131-1 II, 517, Listen der in Hamburg während des Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen Ausländer. Band 2: Sowjetbürger, Polen, Niederländer und Belgier, S. 83; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 176; StaH 131-1 II, 519 Listen der von 1940 in Hamburger Krankenhäusern behandelten Ausländer, nach Nationalitäten geordnet, S. 261; StaH 131-1 II, 2721, Listen der Gräber von im Zweiten Weltkrieg verstorbenen ausländischen Zivilisten auf Hamburger Friedhöfen, S.129; StaH 332-5 Standesämter, 9964 u.1227/1945 Jurij Laschenko; StaH 332-5 Sterbefallsammelakten, 64400 u.1227/1945 Jurij Laschenko; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945, 741-4 Fotoarchiv, K 4597; StaH 332-8 Meldewesen, A 50/1 Hausmeldekartei, 741-4 Fotoarchiv, K 2510 A Weg Nr. 4; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, 184 Band 2, S.163; Archiv Friedhofsverwaltung Ohlsdorf Buch G; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016. Die Hamburger Hausmeldekartei von 1939-1968 ist nach dem Alphabet der Straßennamen geordnet. Teilweise sind darin auch Firmenlager mit deren „ausländischen“ Arbeiter*innen und ihren Personenstandsdaten erfasst;
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, M 9571. Dr. Fritz Lehmann, geb. 6.5.1895 Berlin, 1934-1. Juni 1935 Sanitätsscharführer in der SA Reserve, Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und des Reichsluftschutzbundes seit 1937, Anwärter des NS-Ärztebundes seit 1938. Er arbeitete seit dem 3.2.1945 als Assistenzarzt und stellvertretender Chef in der Infektionsabteilung, war verantwortlich für zwei von sechs „Ausländerbaracken“ im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Unklar blieb, ob bei der Unterzeichnung „Dr. Lehmann“ Dr. Fritz Lehmann oder die Assistenzärztin Dr. Agnes Lehmann, geb. 20.10.1914 in Hamburg, gemeint waren. Für Dr. Agnes Lehmann ist keine Entnazifizierungsakte vorhanden.
Zu 4): Standesamt Hamburg-Finkenwärder, Geburtsregister 21/1945 Georg Rudomentow; StaH 131-1 II, 517, Listen der in Hamburg während des Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen Ausländer. Band 2: Sowjetbürger, Polen, Niederländer und Belgier, S. 78; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S.268; StaH 131-1 II_2723 Gräber russischer Kriegsgefangener und Ostarbeiter auf Friedhöfen des Hamburger Gebiets, S. 3; StaH 332-5 Standesämter, 1239 u. 74/1945 Georg Rudomentow; StaH 332-5 Standesämter, 1239 u. 131/1944 Jurij Rudomentow; StaH 332-5 Sterbefallsammelakten, 64304 u. 131/1945 Jurij Rudomentow; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945, 7414-4 Fotoarchiv, K 4600; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016
 

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Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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